Fotos: Thomas Puschmann

Kompott Chemnitz

Hiergeblieben! Das „Kompott“ in Chemnitz.

Äpfel, Birnen, Pflaumen… Kompott ist eine Nachspeise, die aus unterschiedlichen Früchten und oft aus Fallobst besteht. So sieht sich das Projekt Kompott als bunte Mischung von unten und als Experiment des Zusammenlebens und Organisierens. Ehemalige Hausbesetzer sind nun Besitzer eines ganzen Häuserblocks in Chemnitz.

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Projekt

Von Hausbesetzern zu Hausbesitzern und das gleich für einen ganzen Wohnblock in Chemnitz. Hier wird nicht nur gewohnt, sondern das Miteinander und die politischen Projekte stehen im Vordergrund.

Gebäudetyp/Nutzflächen

  • vier zusammenhängende Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 3.200 m², in denen eine Mischung aus Wohnungen, Ateliers, Gemeinschafts- und öffentlichen Räumen zu finden ist.
  •  in einem Wohnblock der 50er Jahre im Stil eines schlichten sozialistischen Klassizismus
  • Ladenflächen im Erdgeschoss, Kleinstwohnungen in den oberen Etagen
  • Grundstück: 3.200 m², Gewerbefläche: 1.328 m², Wohnfläche: 1.198 m²
  • langfristig ca. 2/3 Wohnen, 1/3 Projektflächen
  • Wohnraum: 2 Häuser mit ca. 20 Wohnungen mit 50 bis 70 m² (Einzelpersonen oder WG)
  • Atelier: 1 Haus mit ca. 8 Ateliers, z.B. Holz- & Keramikwerkstatt, Tonstudio, usw.
  • Öffentliche Flächen:
    o Umsonstladen bzw. Kompass: Unterstützung von benachteiligten Menschen, u.a. Geflüchtete, HartzIV-Empfänger_innen, etc.
    o Lesecafé Odradek: Veranstaltungen für leise Kunst und Kultur
    o Partzipationsfläche Zukunft: Veranstaltungen für laute Kunst und Kultur
    o Garten Kompost: ca. 800 m² Nutzfläche und gemeinschaftlicher Bewirtschaftung
  • Gemeinschaftliche Flächen: Sauna, Innenhof, Gemeinschaftswohnung, Büro, etc.
  • Plenarraum: Organisationsraum für politische Gruppen
  • Gästewohnung: Kostengünstige Übernachtungsmöglichkeit für Einzelne und Gruppen
  • Fresszelle: Abholung von Ernteanteilen einer Solidarischen Landwirtschaft
  • Von den erwähnten vier Häusern sind derzeit drei genutzt. Das letzte Haus ist erst an das Wasser- und Stromnetz angeschlossen worden, so dass eine Nutzung in absehbarer Zeit möglich wird.

Projektstatus

Pionierphase

Das Besondere – Erfolgsbausteine

Im Vorlauf der Entstehung war es immer wieder die Kombination verschiedener Strategien, die Erfolge brachte: eine Hausbesetzung und die klare Forderung nach selbstverwalteten Räumen auf der einen Seite, Verhandlungsbereitschaft und intensive Konzeptarbeit auf der anderen Seite.

Vom Besetzer zum Eigentümer: Für die Konsolidierung des Kompott war ein sehr niedrigschwelliger Zugang zu den Gebäuden ausschlaggebend. Der Zeitraum von zunächst 3 Jahren mietfreier Überlassung der Häuser, der während der Verhandlungsphase mehrmals verlängert wurde, erlaubte es der Gruppe, in ihre neue Rolle hineinzuwachsen. Wichtig war, dass es von vornherein eine Perspektive auf Verstetigung mit der Option für einen Kauf-/Erbbaurechtsvertrag gab.

Es ist gelungen, über das Programm „Jugend belebt Leerstand“ des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau- und Reaktorsicherheit einen Zuschuss zu erhalten.

Das Besondere am Kompott ist sein hoher Anspruch an Selbstverwaltung bei gleichzeitig großer Offenheit für die Beteiligung Außenstehender. Das Kompott als „Experiment des Zusammenlebens und Organisierens“ bietet ein für alle Interessierten offenes zweiwöchentliches Organisationsplenum, auf dem Entscheidungen getroffen werden. Fast alle Arbeit wird ehrenamtlich erledigt und bringt damit permanente Rotation mit sich.

Chronologie

Am Anfang


Im Frühjahr 2007 beauftragt das Stadtplanungsamt Chemnitz zur Belebung des Reiterbahnviertel das „Reiterbahnviertel Entwicklungsteam“.

Mitte 2007 wird das leerstehende Objekt in der Karl-Immermann-Straße 23/25 im Reiterbahnviertel, das sich im Besitz der städtischen Wohnungsgesellschaft GGGmbH befindet, durch die Initiative „Eberhard Weber“ besetzt. Der Widerspruch zwischen massenhaft leerstehenden Häusern in Chemnitz und dem Wunsch junger Leute nach experimentellen und jugendkulturellen Orten war Anlass zur Besetzung des Gebäudes. Kurze Zeit später erhalten die Besetzer durch einen Nutzungsvertrag ein Ausweichgebäude in der Reiterstraße 84. Die Verpflichtung: Selbstausbau durch die Träger. Dort entsteht das Wohn- und Kulturprojekt Reiterbahnstraße 84, „Reba 84“, mit einem Umsonstladen, einer Fahrradwerkstatt und Raum für politische und kulturelle Veranstaltungen.


Aufbau


2008 wird auf der Grundlage des „Entwicklungskonzeptes Reiterbahnviertel“ ein „Integriertes Handlungskonzept Reiterbahnviertel“ erarbeitet, das zur Aquise von Mitteln aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) dienen soll. Kurz darauf weigert sich jedoch die städtische Wohnungsgesellschaft, einen langfristigen Nutzungsvertrag zu schließen. Durch den großen Andrang wird die Idee im Herbst 2008 dennoch weiterentwickelt. Ein „experimentelles Karree“ soll entstehen. Dazu wird ein ausführliches Konzept entwickelt, das den Stadtrat überzeugt.

2009 wird die Idee weiterentwickelt, Finanzierungsmöglichkeiten werden durchgespielt und ein Objekt gesucht, das das „experimentelle Karree“ beherbergen kann.

Anfang 2010 kündigt die GGGmbH den Überlassungsvertrag für die Reiterstraße 84 und Bernsbachplatz 6. Auch der EFRE-Antrag scheitert durch die ungewisse Standortfrage.

Ende 2010: Intensive Verhandlungen brachten das Ersatzobjekt (vier Häuser in einem Wohnblock) an der Leipziger Straße/Matthesstraße. Das „Kompott“ entsteht mit Flächen zum Wohnen und für Projekte. Die zunächst 3-jährige mietfreie Überlassungsfrist wird für Kaufverhandlungen verlängert.


Verstetigung


Am 29. August 2016 wurde das Gebäude durch das Projekt als GmbH gekauft und Vorbereitungen zum Beitritt in das Mietshäuser Syndikat getroffen. Dadurch wird der Weg für größere Bauvorhaben frei.

exka.org/wp-content/uploads/chronik_reba84_exka.pdf


Auf lange Sicht


Seit dem 27.07.2017 durch das Mietshäuser Syndikat entprivatisiert, um das Objekt langfristig der Boden- und Hausspekulation zu entziehen und um einen starken Verbund im Hintergrund zu haben.

Finanzierung

Während der Überlassungsphase finanzierte die Eigentümerin GGG Anschlüsse, Reparaturen und Betriebskosten in Höhe von 64.615 Euro. Hinzu kam eine Förderung der Stadt Chemnitz für Instandsetzungsmaßnahmen in Höhe von 120.000 Euro.

Weitergehende Baumaßnahmen wurden durch die Miete der Nutzer und einen Zuschuss des Programms „Jugend belebt Leerstand“ in Höhe von 120.000 Euro finanziert. Ein Großteil der Sanierungsmaßnahmen erfolgt in Eigenleistung. Der Ausbau des Veranstaltungsraums „Zukunft“ wurde durch Spenden in Höhe von 10.000 Euro sowie viel Eigenleistung ermöglicht. Langfristig sollen die Mieten des Wohnprojekts und der Projektflächen den Kaufpreis von 70.000 Euro refinanzieren.

Organisationsform

Zunächst während der Zeit des Überlassungsvertrages:

Bis zum Kauf war der gemeinnützige Verein Urbane Polemik e.V. Generalmieter und betrieb die öffentlichen Flächen. Als einfach zu handhabende Rechtsform war der Verein hierfür geeignet.

Jetzt nach Kauf:

Für den Kauf wurde die GmbH „Alternatives Wohn- und Kulturprojekt Kompott“ gegründet. Sie ist nun Eigentümerin der Gebäude.

Gesellschafter der GmbH ist der nicht gemeinnützige Verein „Bunte Grütze e.V.“, der der Organisation der Interessen aller Bewohner und Nutzer der Häuser dient. Die GmbH als wirtschaftende Rechtsform führt aus, was im Verein beschlossen wird. So wird das Demokratieprinzip des Vereins mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der GmbH verknüpft.

Die Flächen für Veranstaltungsräume sind an eigenständige Vereine (z.B. Urbane Polemik e.V.) untervermietet, die sich jeweils selbst verwalten. Sinn dieser Konstruktion ist es, gleichzeitig eine hohe Eigenständigkeit der einzelnen Projekte und eine große Stabilität des Gesamtprojekts zu gewährleisten.

Die angestrebte Mitgliedschaft im Mietshäuser Syndikat soll das Haus auch langfristig vor Reprivatisierung schützen.

Kommunikation/Teamentwicklung

Derzeit bewohnen ca. 25 Menschen die Häuser. Die öffentlichen Flächen werden zusätzlich von vielen, anderen Menschen bespielt.

Zweiwöchentlich gibt es ein „Orga-Plenum“ für alle Aktiven im Projekt (sowohl Bewohner als auch Nicht-Bewohner). Hier werden alle grundlegenden Entscheidungen getroffen, die die Häuser und ihre Nutzung betreffen. Zweiwöchentlich gibt es außerdem ein „Wohngruppen-Plenum“, in dem die Bewohner ihre Themen verhandeln.

Alle anderen Projekte im Haus haben eigenständige Organisationsstrukturen und damit eigene Treffen: der Veranstaltungsraum „Zukunft“, die darin stattfindende „Volxküche“, der Umsonstladen und die anderen Projekte im Kompott. Das klappt ganz gut, aber nicht immer reibungslos: Die Organisationsprozesse im Projekt sind Teil des angestrebten Experiments.

Fast alle Tätigkeiten werden ehrenamtlich erledigt. Das bringt die Notwendigkeit mit sich, immer wieder Neue in die Aktivitäten einzubinden. Einerseits entstehen damit immer wieder neue, unerwartete Projekte, andererseits sind manche von sich wiederholenden Debatten frustriert.

Immobilien/Planen/Bauen

Während der Überlassungsphase wurden die Gebäude in der Leipzigerstr. 3/5 und der Matthesstr. 21 und 13 mit angeschlossenen Medien von der Eigentümerin zur Verfügung gestellt. (Finanzierung s. dort)

In jeder Wohnung war bei Einzug eine Minimalausstattung (Wasser, Stromanschluss). Der Verein zahlte das Material. Den Ausbau macht jeder selbst.

Nach dem Kauf sind größere Baumaßnahmen geplant, etwa die Zusammenlegung der Kleinstwohnungen zu WGs, Neueindeckung des Daches, Instandsetzung der noch nicht ausgebauten Räumlichkeiten.

Nachbarschaft und Stadtteil

Einerseits gibt es durch die vielfältigen niedrigschwelligen Aktivitäten (Lesecafé, Umsonstladen, Stadtteilgarten) ein gutes Verhältnis zu Teilen der Nachbarschaft. Gerade junge Leute nutzen das Kompott. Die Möglichkeit, das Kompott als Ort für Treffen zu nutzen, spricht einige Bewohner und Geflüchtete aus der Nachbarschaft an.

Andere Teile der Nachbarschaft haben wenig Verständnis für das Projekt. Streitpunkt sind dabei immer wieder die buntbemalte Fassade („Schandfleck!“) und Konflikte um die Lautstärke bei Veranstaltungen.

Mehrfach haben Gruppen von Neonazis das Kompott angegriffen und versucht, sich gewaltsam Zutritt zum Gebäude zu verschaffen. Schutz bieten vergitterte Fenster im Erdgeschoss und eine erhöhte Wachsamkeit an Tagen rechtsradikaler Demonstrationen in der Stadt.

Stolpersteine

Teilweise schwieriges Verhältnis zu Verwaltung und Wohnungsgesellschaft.

Die lange Anlaufzeit ist auch darauf zurückzuführen, dass das Bemühen um selbstverwaltete Experimentierräume von Politik und Verwaltung lange als Störfaktor wahrgenommen wurde. In der Stadtpolitik überwiegt mittlerweile der Blick auf die Chancen solcher Projekte. StädtischeWohnungsbaugesellschaften hingegen wirtschaften i.d.R. rein gewinnorientiert und sind kaum für alternative Handlungsmaximen zu gewinnen. Hier war eine klare Anweisung durch die Politik erforderlich.

Die Spannung zwischen den Ansprüchen nach Selbstverwaltung und Offenheit einerseits und nach Kontinuität im Projekt andererseits wird die Gruppe voraussichtlich auch in Zukunft beschäftigen.

Der konservativen sächsischen Gesellschaft, Verwaltung und Politik sind alternative linke Experimentierräume teilweise ein Dorn im Auge. Das sichert dem Kompott einen Eintrag im Jahresbericht des sächsischen „Verfassungsschutzes“. Rechtskonservative Ratsfraktionen bemühten sich daraufhin (erfolglos) im Jahr 2015, die Verhandlungen der Gruppe um das Gebäude zu torpedieren.

Wen oder welche Unterstützung brauchen wir noch?

Eine größere Akzeptanz der Chemnitzer Stadtgesellschaft und der lokalen Bevölkerung wäre eine große Unterstützung. Helfen würde schon das Bewusstsein, dass solche alternativen Projekte ihre Daseinsberechtigung haben.

Links & Downloads

Autoren: Michael Stellmacher, Hannes Heise