Ein selbstverwaltetes Zentrum des Handwerks, das schon optisch auffällt auf im Hamburger Trend-Stadtteil Ottensen. Seine moderne, geschwungene Fassade mit weißem Sockel, vor allem aber die geschmackvolle Verkleidung der drei darüber liegenden Geschosse mit Holzlatten lassen nicht nur Architekten interessiert stehenbleiben. Stünde nicht „Handwerkerhof Ottensen“ draußen in großen Lettern drauf, hielten viele Passanten das Gebäude wohl eher für ein neues Wohn- oder Bürogebäude. Aber hinter dieser Immobilie verbirgt sich noch weit mehr als nur ein schicker Gewerbehof. Die Geschichte geht so: Die Bauherren selbst sind die heutigen Mieter, sie haben mitgeplant und mitgebaut und sie haben durch ein besonderes Konstrukt auch einen Traum Wirklichkeit werden lassen; ihren Traum vom nicht-profitorientierten, gemeinschaftlichen Bauen. Mit dem erklärten Ziel, kleinen Handwerksbetrieben auch in guten Stadtlagen dauerhaft niedrige Mietpreise anbieten zu können. 8,61 Euro pro Quadratmeter sind es derzeit für die Gewerbetreibenden.
WeiterlesenGewerbehof mit Zimmerei, Tischlerei, Instrumentenbau, Polsterei, Sanitärinstallation, Glaserei, Reperaturservice für Haushaltsgeräte, Architekturbüro, Anwaltskanzlei, Coaching und Projektentwicklung
Neubau
Grundfläche: 1.080 qm
Nutzfläche: 1.410 qm
EG-2.OG Handwerk: 1.000 qm
3.OG Einzel- und Gemeinschaftsbüros
2.OG Gemeinschaftsküche, -dusche
Gemeinschafts-WCs auf allen Etagen
Etabliert – seit 2014 in Betrieb
Durch die Beteiligung des Mietshäusersyndikats an der GmbH generieren die Projektmacher bezahlbare Mieten für Gewerbe und schützen die Handwerksbetriebe vor dem Verdrängungsdruck, der es ihnen in Hamburg schwer macht, kostengünstige Räume für ihre Arbeit zu finden. Der Zusammenschluss mehrerer Betriebe verbessert deren Marktpräsenz. Die Zusammenarbeit in einem Haus führt zu Synergien und die Betriebe erledigen Aufträge gemeinsam. Es gibt eine Gemeinschaftsküche und einige Betriebe teilen sich Werkstätten und Geräte. Gemeinschafts-WCs sparen Raum und reduzieren so die Miete. Erfolgsbaustein für das Projekt ist außerdem eine gute Portion Realismus. Die Projektmacher bauen keine Luftschlösser, sondern gehen Schritt für Schritt vor. Mit dieser Einstellung erreicht man besonders bei der Verwaltung mehr. Die Laewetz-Stiftung begleitete den Bauprozess. Es ist empfehlenswert, sich von außen beraten zu lassen und so Konflikte im Vorhinein zu vermeiden.
2011: Konzeptionierung und Prüfung durch den Wirtschaftsausschuss
2013: Grundstückskauf und Eintritt ins Mietshäusersyndikat
6. Dezember 2013: Baubeginn
4. April 2014: Grundsteinlegung
12. September 2014: Richtfest
Dezember 2014: Fertigstellung
2015: Inbetriebnahme
Das Gesamtvolumen des Projekts beläuft sich auf 2,9 Millionen Euro. Davon sind ca. 226.800 Euro (210 Euro/Quadratmeter) Grundstückskosten.
2,2 Millionen Euro liehen sich die Handwerker als Kredit von der GLS-Bank. Den Rest stemmten sie durch zinsgünstige Direktkredite. Menschen, die das Projekt kennen und unterstützenswert finden, können ihre Ersparnisse direkt und ohne Umweg über eine Bank bei der Handwerkerhof Ottensen GmbH anlegen. Der ideale Direktkredit liegt bei 5.000 bis 10.000 Euro. So können die Gesellschafter Rückzahlungen durch Umverteilungen möglich machen, ohne dabei in Schwierigkeiten zu geraten. Der Zinssatz liegt frei vereinbar zwischen 0 und 3 Prozent. Der Eigenanteil, der für den Kredit bei der GLS-Bank notwendig ist, liegt bei 30 bis 40 Prozent. Die GLS-Bank rechnet Direktkredite als Eigenanteil an. Zusätzlich bringen die zwei Gesellschafter der GmbH Anteile mit. Der Verein Handwerkerhof Ottensen e.V. zahlt 12.600 Euro Eigenanteil, das Mietshäusersyndikat bringt 12.400 Euro Stammkapital ein. Die Vorleistungen betrugen 250.000 Euro.
Die Mieteinnahmen dienen der Tilgung des Bankkredits. Die Netto-Kaltmiete für die Gewerberäume beträgt 8,61 Euro, die Büromiete im 3.OG 13,62 Euro pro Quadratmeter. Durch die Mieteinnahmen soll kein Gewinn erzielt werden. Neben der Bedienung des Finanzplans bildet die Gesellschaft lediglich Rücklagen für Sanierungen und eventuelle Mietausfälle.
Bis Herbst 2016 wurden 780.000 Euro eingenommen. Sondertilgungsrechte bei der GLS-Bank ermöglichen eine verfrühte Rückzahlung des Kredits.
Die Baukosten sind, weil es sich um einen Gewerbebau handelt, von den Steuern abrechenbar (Gewerbesteuer).
Als Mitglied beim Mietshäusersyndikat zahlt der Verein Handwerkerhof Ottensen e.V. einen Solidarbeitrag ans Mietshäusersyndikat. Er betrug anfangs 10 Cent pro Quadratmeter und steigt jährlich um 0,5 Prozent der Vorjahreskaltmiete. Außerdem zahlt jeder Hausverein einmalig 250 Euro Einlage ans Mietshäusersyndikat.
Trägergesellschaft des Projekts ist die Handwerkerhof Ottensen GmbH mit zwei Gesellschaftern: 1. Verein Handwerkerhof Ottensen e.V. (Alle Nutzer sind Mitglieder im Verein), 2. Mietshäusersyndikat.
Das Mietshäusersyndikat ist ein bundesweiter Solidarverbund, der zurzeit 80 Projekte und ca. 20 Projektinitiativen umfasst, von denen der überwiegende Teil Wohnprojekte sind. Monatlich zahlen alle Projekte Solidarbeiträge ein, um die nächsten Projekte mit GmbH-Beteiligung zu gründen. Im Gegenzug bietet das Mietshäusersyndikat einen regen Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer zwischen den Projekten und mit ca. 50 ehrenamtlichen Beratern an. Außerdem leistet es eine (finanzielle) Starthilfe bei Gebäudekauf und Projektanfang. Die bereits bestehenden Projekte entscheiden, welche neuen Wohn- und Baugruppen sie in den Unternehmerverbund aufnehmen.
Innerhalb der Handwerkerhof Ottensen GmbH übernimmt das Mietshäusersyndikat eine Wächterfunktion: Der Handwerkerhof Ottensen e.V. darf das Gebäude und den Boden nicht weiterveräußern oder ungeprüft zusätzlich beleihen, er darf keine belastenden Zukäufe tätigen und Mieten dürfen nicht unberechtigt steigen.
Der Handwerkerhof Ottensen e.V., zweiter Gesellschafter der GmbH, führt die Verwaltung und regelt geschäftsführend und ehrenamtlich die täglichen Belange.
Steuerrechtlich gehören dem Verein 51 Prozent der Anteile, dem Mietshäusersyndikat 49 Prozent. Reell haben aber jeweils beide Gesellschafter eine Stimme und bei Grundsatzfragen wie einer Satzungsänderung kann kein Gesellschafter den anderen überstimmen und eine Entscheidung alleine treffen.
Im GmbH-Vertrag wird vereinbart, dass ein Anspruch auf Anteile an der Wertsteigerung, die die Immobilie durch den Markt erfährt, entfällt, sollte einer der Gesellschafter aus der GmbH austeigen wollen. So können die Vertragspartner Spekulationsansätze vermeiden.
Mit einer Schaufenstervitrine präsentieren sich die Handwerkerbetriebe nach außen und haben die Möglichkeit, Laufkundschaft zu werben. Die unterschiedlichen Betriebe bespielen die Vitrine abwechselnd in Eigenregie.
Darüber hinaus lebt der Handwerkerhof den Grundgedanken des Mietshäusersyndikats. Andere sollen von dem Projekt lernen. Dafür gibt es regelmäßig Führungen durchs Haus. Interessierte Gruppen sind vor allem Architekten und andere selbstorganisierte Gruppen, die ein ähnliches Projekt gründen wollen. Jeder kann Führungen individuell vereinbaren.
Ca. 15 Einzelpersonen gründeten den Verein Handwerkerhof Ottensen e.V. Gründungsmitglieder waren ein KFZ-Händler, ein Klempner und eine Zimmerei. Seit diesem schnellen Findungsprozess gibt es wenig Fluktuation im Projekt. Alle Nutzer sind Mitglieder im Verein, wurden in der Planungsphase eingebunden und ihre individuellen Interessen und Ansprüche beim Bau berücksichtigt.
Alle 14 Tage ist Mietertreffen (Vereinstreffen). Entscheidungen, die den Handwerkerhof betreffen, z. B. wer als neuer Mieter aufgenommen wird, treffen die Mitglieder gemeinsam und autonom.
Die Synergien funktionieren gut. Der Handwerkerhof ist ein offenes Haus und die Nutzer treffen sich auch abseits der regelmäßigen Treffen auf dem Weg durchs Treppenhaus, in den Gemeinschaftsräumen oder auf dem Hof.
Zwei Anwälte, die ihre Büros im obersten Stockwerk des Hauses haben, helfen der Gruppe bei rechtlichen Fragen.
Außerhalb des Handwerkerhofes sind die Mitglieder auch mit dem Mietshäusersyndikat gut vernetzt. Es herrscht ein reger Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer. Die ca. 50 ehrenamtlichen Berater, zu denen auch der Geschäftsführer des Handwerkerhofs Ottensen e.V. gehört, arbeiten ehrenamtlich. Die Mitgliedervollversammlung des Mietshäusersyndikats, auf der unter anderem über neu aufzunehmende Projekte entschieden wird, findet zweimal im Jahr statt.
Das Grundstück, auf dem der Handwerkerhof steht, lag vorher brach, war in städtischer Hand und wurde von der LEG verwaltet. Die Idee für den Handwerkerhof kam im richtigen Moment. Der Stadt gefiel das Konzept für den Ort und sie verkaufte das Grundstück an die GmbH. Im Rahmen einer Anhandgabe wurde der Boden an das Projekt übergeben. Das Bodengutachten und die Entfernung von Lasten zahlte die Stadt Hamburg.
Das Gebäude ist gut durchdacht. Ein Lastenaufzug ermöglicht den Gewerbebetrieb auf mehreren Etagen. Die Laubengänge sind breit angelegt und an handwerksüblichen Maßen orientiert. Auch das Treppenhaus ist großzügig gebaut. Auf jeder Etage gibt es gemeinschaftliche Toiletten, die die Nutzer der gesamten Etage nutzen. Auch Werkstätten mit großen und teuren Geräten nutzen die Betriebe soweit wie möglich gemeinsam.
Der Grundriss des Gebäudes mit 45 mal 11 Metern Gebäudefläche erspart Stützen in der Mitte und ermöglicht so eine flexible Gestaltung der Innenräume, die bei wechselndem Bedarf ohne großen Aufwand an die Bedürfnisse der Handwerker angepasst werden können. Alle Vereinsmitglieder wurden schon in der Planungsphase eingebunden und ihre Interessen berücksichtigt.
Das Gebäude ist ein Hybridbau. Es besteht aus einem Stahl-Beton-Skelett mit Spannbetondecken. Die Oberfläche bleibt nach innen roh. Nach außen ist sie mit einer Holzfassade verkleidet.
Die Decken sind mit Luftkammern bestückt, um den Anforderungen eines Handwerksbetriebs an Lärmschutz, Schadstoffbeseitigung und Brandschutz gerecht zu werden. Dank einer äußerst guten Schalldämmung ist ein gemeinschaftliches Arbeiten möglich.
Eine 29KWpeak-Solaranlage auf dem Dach deckt teilweise den Strombedarf des Betriebs. Der Handwerkerhof ist Mitglied in der Energienetz Hamburg Genossenschaft.
Die Fassadenverkleidung einschließlich der Fenster und Glasarbeiten, die Haustür, die Schaufenstervitrine und die Sanitärinstallation wurde vom Bauherrn selber gebaut. Auch Neustadtarchitekten, die die Planung des Gebäudes übernahmen, sind aus dem eigenen Team.
Als Baubetreuer fungierte die Lawaetz-Stiftung. Sie übernahm die Prüfung der Architektenleistung, die Ausschreibung und Vergabe (Tipp: Angebote Architektenleistung pauschalieren).
Der Anstoß zum Projekt kam aus der Nachbarschaft selber. Die Gründungsmitglieder (Kfz-Händler, Klempner, Zimmerei) fanden sich aus Mangel an Raum zusammen. Das wenige Gewerbe, das es in dem Mischgebiet in Hamburg-Ottensen noch gibt, befindet sich in privatem Besitz. Andere Flächen halten dem Verdrängungsdruck kaum Stand.
Darüber hinaus gab es Feste, zu denen die Handwerker die Nachbarn eingeladen haben. Bis auf die nächsten Nachbarn gibt es aber nicht viel Kontakt.
Das Projekt ist etabliert und braucht nur noch wenig Unterstützung. Wie bei vielen Immovielien fehlt es hauptsächlich an Geld und der Handwerkerhof ist weiter auf der Suche nach Direktkrediten, idealerweise in Höhe von 5.000 bis 10.000 Euro, mit denen er seinen Bankkredit abbezahlen kann.
Darüber hinaus gibt es ein strukturelles Problem. Einige der Betriebe würden gerne ausbilden. Zurzeit fehlt es jedoch an interessierten Jugendlichen, die bereit sind, ein Handwerk zu lernen.
In der Planungsphase kam es zu kleinen Schwierigkeiten in der Gruppe. Da die Architekten aus dem eigenen Zusammenschluss nicht rein ehrenamtlich arbeiteten, kam es zum Beispiel bezüglich Planungsleistungen zu Missverständnissen und Irritationen innerhalb des Teams.
Ein weiterer Stolperstein lag in einem Bebauungsplan von 1952, der am Rand des Grundstücks eine Baugrenze vorsah. Da dort seitdem kein Gebäude stand, war in der Zwischenzeit ein Baumbestand gewachsen, der als schützenswert galt. Diesen Zwiespalt zwischen Grün- und Stadtplanungsamt konnten die Verantwortlichen in vielen persönlichen Gesprächen lösen und einen Kompromiss finden.
Ein Wunsch der Projektmacher wäre es, sich stärker nach außen zu präsentieren und beispielsweise in der Bildung zu engagieren. Besuche an Schulen, Führungen mit Schulklassen und Aufklärungsarbeit wären denkbar, um fürs Handwerk zu werben, scheitern aber an zu viel eigener Arbeit im Projekt.
Webseiten:
Film zum Mietshäuser Syndikat 2016