„Attraktive, beste Innenstadtlage“ nennen das Makler und Investoren gewöhnlich. Schon der Name des Stadtteils – nur fünf Minuten Fußweg vom Hauptbahnhof in Freiburg entfernt – klingt verlockend: „Im Grün“, die Uni gleich um die Ecke. Ganz klar: Großstädtisches Gentrifizierungsareal mit hohen Mieten im schicken Neubau oder teuer sanierten Altbau. Doch es ist nur die halbe Wahrheit: Am Ende der Sackgasse Adlerstraße rechts rein führt der Weg in eine Art Oase. Auf dem kunterbunten, öko-charmigen Grethergelände trotzt man mit extrem günstigen Mieten seit über 30 Jahren dem immer aufgeheizteren Wohnungsmarkt in der Studentenmetropole, lebt und arbeitet solidarisch in der Gemeinschaft.
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Vor dem „Strandcafe“ sitzen ein paar Menschen an Holztischen unter bunten Sonnenschirmen und trinken Kaffee. Geflüchtete eilen über den Hof ins „rasthaus“, weil sie hier Deutsch lernen oder einen Beratungstermin haben. Eltern holen ihre Kinder von der Kita ab. Im „Bewegungsraum“ beginnen gleich die ersten Yogakurse. Jemand entnimmt am Hofeingang dem Schrank mit gespendeten Lebensmitteln ein Brot. „Was ich super finde: Man hat selbstverwaltete Gebäude, aber sie gehören niemandem privat. Wir entscheiden gemeinsam über die Höhe der Miete und was wir ausgeben wollen, also darüber, ob wir einen goldenen Wasserhahn brauchen oder nicht.“ Das sagt – schmunzelnd natürlich wegen des goldenen Wasserhahnes, den hier keiner will – Richard Rögler, Rechtsanwalt im Ruhestand und mit seinen 63 Jahren der älteste Bewohner auf dem „Grether“. Der jüngste ist gerade erst auf die Welt gekommen.
Die historischen Fassaden der ehemaligen Eisengießerei „Grether & Cie“ sind längst üppig von Efeu und Glyzinien bewachsen, mit unzähligen Plakaten beklebt und vielen Graffitis besprüht. Dutzende Fahrräder stehen vor den Häusern. Die idyllische, sehr grüne Hofanlage ist so etwas wie die „Mutter aller Mietshäuser-Syndikatsprojekte“ und eine der ersten Immovielien“ – ein von aktuell 100 Mietern dirigiertes, alternatives Projekt mit bewegter Vergangenheit. Für sechs Euro Miete pro Quadratmeter wird hier – im Erdgeschoss – gearbeitet und – im ersten Stock – gewohnt. Gleich nebenan im smarten und lebhaften Stadtteil „Im Grün“ sind es zehn Euro und mehr. Selbstverwaltung, Eigeninitiative, Direktkredite und Solidarfonds machen es möglich – seit Jahrzehnten inzwischen.
Richard Rögler trägt – sicher nicht zufällig für dieses Gespräch – ein blaues T-Shirt mit der Aufschrift „Mietshäuser Syndikat“ und sitzt entspannt am langen Holztisch der großen, sehr hellen Wohnküche seiner WG im Ostteil des Grethergeländes. Seit 13 Jahren lebt er auf dem „Grether“, bezeichnet sich selbst als „WG-Freak mit 35-jähriger Erfahrung“. Grad kommt sein neuer Mitbewohner Sebastian, 27, stylischer Bart, hellblaue Ohrringe, von der Uni nach Hause. Hungrig offenbar, denn als Erstes lüftet er neugierig den Deckel des Kochtopfs auf dem Herd. Neben der Spüle stapelt sich sauberes Geschirr, die Spülmaschine will ausgeräumt werden, Blumen stehen auf dem Tisch. Sie leben zu sechst hier – drei Männer und drei Frauen. Jeder hat ein Zimmer. Auf dem gesamten Gelände gilt das Prinzip „Ein Raum – Eine Person“. Bad und Wohnküche werden geteilt. Und wer, wie Jurist Richard, nicht auf eine günstige Miete angewiesen ist, zahlt mehr.
Dass es in den Anfängen auf dem „Grether“ reichlich turbulent zuging, wissen die meisten der heutigen Bewohner nur vom Hörensagen. Bereits in den 70er Jahren wurde die leer stehende Maschinenhalle der alten Eisengießerei vom ersten Freiburger Alternativprojekt – dem Gebrauchtwarenlager – genutzt. Eine aktive Hausbesetzerszene bewahrte Anfang der 80ziger Jahre das gesamte Gelände dann vor dem geplanten Abriss. „Das Grethergelände geriet damals in den Fokus der Sanierungsinteressen. Ganze Viertel sollten niedergerissen werden. Für alternative Kultur aber gab es damals überhaupt keine Räume “, erinnert sich Tommy Hohner. Der 57-Jährige betreibt heute eine kleine Druckerei auf dem Gelände, zählte damals zu den Hausbesetzern, hörte gerne Punkmusik.
Um das Areal für günstigen Wohnraum und alternative Kultur- und Arbeitsprojekte zu erhalten, gründeten sich Vereine und Initiativen, die schließlich die gesamte Fabrik samt Altlasten nach langen Kämpfen und zähen Verhandlungen mit der Stadt erwarben. Den Anfang machte der nahezu komplett in Eigenregie vom Verein „Grether Baukooperative“ gestemmte Umbau der alten Maschinenhalle im Westteil des Firmengeländes in Wohn- und Gewerbeeinheiten. Auf Basis des Erbbaurechtes konnte das marode Gebäude 1987 von der Stadt übernommen werden. So entstanden auf dem 1.000 Quadratmeter großen Grundstück die ersten 848 Quadratmeter Wohnraum für 35 Menschen und 780 Quadratmeter Gewerberaum. Die Kosten des Umbaus: Knapp 1,5 Millionen Euro; finanziert durch private Darlehen von damals 500.000 D-Mark, Bankkredite, Wohnbaufördermittel für einige Sozialwohnungen – und mit viel Muskelhypothek.
Das war nicht nur die Geburtstunde der späteren Grether West GmbH, sondern auch das erste Kind des neu gegründeten Vereins „Mietshäuser Syndikat“. Heute gehören ihm bundesweit über 100 nicht kommerziell organisierte Wohnprojekte an. Alle mit dem Ziel, Wohnraum dem spekulativen Immobilienmarkt dauerhaft zu entziehen und zu günstigen Mieten anzubieten. Seit Jahren erwirtschaftet die Grether West übrigens Überschüsse und unterstützt damit auch andere Syndikatsprojekte.
Doch es galt auch, Rückschläge zu überstehen. Der Traum von einem autonomen Kulturzentrum mit Konzerthalle in der alten Gießereihalle zerplatzte Ende der 80er Jahre. Eine hohe Schwermetallbelastung mit Blei- und Kadmiumstaub machte alle Pläne zunichte. Außerdem gab es Einsprüche aus der Nachbarschaft gegen das mutmaßlich lärmintensive Vorhaben mitten in einem Wohngebiet. Aber die Projektmacher gaben nicht auf, änderten ihre Pläne und legten einen Altlastensanierungsplan vor, um wie in Grether West nun auch im Ostteil des Geländes Wohnungen und Gewerbeflächen zu schaffen. Und sie erhielten den Zuschlag. Ein großer Teil der Arbeiten wurde wieder von der eigenen Bautruppe übernommen. Das sparte Kosten.
So entstanden bis heute insgesamt 2.776 Quadratmeter Wohnraum und 2.257 Quadratmeter Gewerberaum. Mit einem 2006 fertig gestellten, barrierefreien Neubau mit acht behindertengerechten Wohnungen im Südteil des Geländes an der Faulerstraße wurde die Sanierungs- und Bauphase schließlich endgültig abgeschlossen. Und mit der Grether Ost GmbH, der Grether West GmbH und der Grether Süd GmbH gibt es auf dem Gelände nun drei Hausprojekte, die alle unter dem Dach des Mietshäuser Syndikats organisiert sind. Konkret heißt das: Jede der drei Hausbesitz GmbHs hat zwei Gesellschafter, den Hausverein der Mieter und das Mietshäuser Syndikat. Dem spekulativen Wohnungsmarkt ist das gesamte Gelände durch dieses Konstrukt dauerhaft entzogen. Die Mieter leben mit der Sicherheit, langfristig für günstige Mieten wohnen und über alle Belange mitentscheiden zu können.
Sonja Koskowski ist eine von ihnen. Die Grafikerin mit der hennaroten Dreadlocks-Mähne lebt schon seit 15 Jahren in einer der WGs in Grether West; heute mit Sohn Igor (8) und einer Freundin. „Mir gefällt das Leben in der Gemeinschaft. Jeder hat hier Mitspracherecht, aber natürlich auch die Verpflichtung, etwas zu tun und die Miete ist günstig. Auch wer nur wenig Geld hat, kann hier wohnen.“ Obwohl sie grad auf dem Sprung zur Arbeit ist, lädt sie zu einem schnellen Rundgang durch die gemütliche, 90 Quadratmeter große Wohnung mit Holzboden und vielen Pflanzen ein und zählt dabei gleich die Vorteile neben der zentralen Innenstadtlage auf. „Schon beim Umbau wurde darauf geachtet, dass alle WG-Zimmer etwa gleich groß sind. Das finde ich gut. Nur die Wohnküche für alle ist größer. Alle Wohnungen haben Balkone. Nichts ist hier luxusrenoviert, aber trotzdem solide und die Bäder zum Beispiel sind sehr gut ausgestattet.“
Monatlich kommen die Mieter der einzelnen GmbHs zu einem Plenum zusammen, in dem alle wichtigen Fragen – etwa anstehende Renovierungen oder neue Vermietungen – besprochen und dann tatsächlich im Konsens beschlossen werden. Bewohner Richard Rögler hatte da Anfangs Zweifel: „Das ist manchmal schon anstrengend, es dauert auch. Es wird halt solange diskutiert, bis alle die Entscheidung mittragen. Aber es funktioniert.“ Ebenfalls einmal im Monat gibt es ein Gesamtplenum mit allen, die auf dem Grethergelände arbeiten und wohnen. Auf dem Terminplan 2016 steht auch noch eine Zukunftswerkstatt, um gemeinsam zu planen, wie bald frei werdende Gewerbeeinheiten genutzt werden sollen.
Finanziert werden konnte das gesamte Projekt weitgehend ohne öffentliche Förderung (nur für die Sozialwohnungen gab es Wohnbaufördermittel), dafür aber mit vielen sogenannten Direktkrediten. Dabei legen Menschen, die ein solches Projekt unterstützenswert finden, ihre Ersparnisse nicht bei der Bank, sondern direkt bei einer der drei GmbHs an. Heute immerhin noch mit einem Zinssatz von 1,4 Prozent. Kein Wunder, dass das Interesse größer denn je ist. Und das, obwohl es sich um Risiko- oder sogenannte Nachrangkredite handelt. „Wenn wir pleitegehen, guckst du in die Röhre“, bringt es Richard Rögler auf den Punkt, der dem Projekt selber zwei Direktkredite gegeben hat, eins davon sogar zinslos. Doch von einer prekären Finanzlage kann derzeit keine Rede sein. „Wir müssen im Moment eher aufpassen, dass wir nicht zu viele Kredite bekommen“, so Tommy Hohner. Die restliche Finanzierung von Grether West und Grether Ost lief neben den Direktkrediten über Bankkredite der GLS-Bank und der Landesbank. Grether Süd ist komplett ohne Bankkredit finanziert.
Dieser Finanzierungsmix und die Selbstverwaltung durch die Mieter macht es bis heute möglich, dass auf dem „Grether“ fürs Wohnen im Schnitt unterm Strich nur 250 Euro Miete plus Nebenkosten anfallen. Darin enthalten ist auch ein Solidarzuschlag von 10 Prozent für das Mietshäuser Syndikat, mit dem die etablierten Projekte Neuen unter die Arme greifen können. „Wir haben halt keine Gewinninteressen“, erläutert Tommy Hohner das Grundprinzip und fügt hinzu: „Gerade unsere sozialen Projekte auf dem Grethergelände hätten sonst überhaupt keine Chance, innenstadtnah zu existieren.“ Gemeint sind viele der Mieter der Gewerberäume im Erdgeschoss: Das selbst organisierte, nicht kommerzielle Strandcafé, der alternative Radiosender Dreyeckland, das Antiklager, die Anlaufstelle für Geflüchtete „rasthaus“, die beiden Kitas, das Feministische Zentrum, der Schwulenverein „Rosa Hilfe“, das Archiv Soziale Bewegungen oder die Food-Coop.
Verändert hat sich in all den Jahren natürlich auch einiges. „Ein wenig mehr Ruhe ist hier schon eingekehrt“, erzählt Tommy Hohner. Früher gab es ständig Feste, Konzerte und immer viel Trubel und Besuch auf dem Gelände. Heute möchten viele Bewohner aber auch „mal ihre Ruhe“ haben. In den letzten Jahren fanden nur noch maximal zwei große Feste auf dem Areal statt. Aber dafür wächst die Zahl von Infoveranstaltungen und im Sommer gibt es Lesungen im kleinen Innenhof. Im Viertel selbst gilt das „Grether“ aber immer noch als letzte Enklave gegen den Kommerz. Der bahnhofsnahe Stadtteil ist durch viele Neubauten und Luxussanierungen für viele Menschen heute kaum mehr erschwinglich. Doch auch auf dem „Grether“ hat sich die Ursprungsidee vom Arbeiten und Leben des Einzelnen an einem Ort am Ende nicht wirklich durchgesetzt. Wer hier arbeitet, lebt heute meist anderswo und umgekehrt. Der Traum von einem selbstbestimmten, kollektiven Zusammenleben aber ist bis heute Realität. Und er erfreut sich reger Nachfrage. „So gut wie nie wird hier eine ganze Wohnung frei und fast täglich kommt ne Mail, ob wir nicht Zimmer oder Räume frei haben“, so Tommy Hohner.
Text: Susanne Küppers
Projekt
Das Freiburger Grethergelände ist ein selbst verwaltetes, solidarisches Wohn-, Arbeits- und Lebensprojekt und der Ursprung des Mietshäuser Syndikats.
Gebäudetyp
Alte Eisengießerei mit Gießerei- und Maschinenhalle, Lagergebäude, Zwischenhalle und Neubau sowie zwei Höfen, Parkplätzen und Freigelände. Das Strandcafé und das Rasthaus laden zum Besuch ein, der politische Radiosender Radio Dreyeckland, die Rosa Hilfe e.V. und das feministische Zentrum sind hier genauso zuhause wie eine Kita oder die anarchistische Arbeiterbewegung. Und: Es wird gearbeitet im Möbellager, mehreren Werkstätten und Ateliers. Details im Lageplan.
Gesamtfläche oder Nutzflächen nach Nutzung
Grether Ost: Grundstück 2.477 qm, Wohnfläche 1.477 qm, Gewerbe 1.219 qm
Grether West: 1.032 qm, Wohnfläche 848 qm, Gewerbe 780 qm
Grether Süd: Wohnfläche 451 qm, Gewerbe 258 qm
Projektstatus
Etabliertes Projekt
Das Besondere – Erfolgsbausteine
- Das Grethergelände ist der Ausgangspunkt der Idee des Mietshäuser Syndikats. Die Grether West GmbH ist 1980 das erste Projekt des neu gegründeten Vereins „Mietshäuser Syndikat“. Heute gehören ihm bundesweit über 100 nicht kommerziell organisierte Wohnprojekte an. Alle mit dem Ziel, Wohnraum dem spekulativen Immobilienmarkt dauerhaft zu entziehen und zu günstigen Mieten anzubieten.
- Es ist gelungen, die Gebäude der ehemaligen Gießerei weitgehend zu erhalten.
- Es ist gelungen, das Projekt gegen große städtische Widerstände und massive Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Pläne gegen den Abriss konnten verhindert werden.
- Ein großer Teil der Sanierungsarbeiten konnte vom eigenen Bautrupp geleistet werden. Stichwort: Muskelhypothek.
- Das Projekt ist bis heute basisdemokratisch organisiert. Echte Teilhabe der Bewohner und Nutzer ist umfassend garantiert und wird wahrgenommen. Zweimal im Monat finden Plenumssitzungen statt.
- Es gibt keine Gewinnerwartung.
- Finanzierungsmix aus Direktkrediten und Bankkrediten ermöglicht dauerhaft niedrige Mieten.
Chronologie
Am Anfang
Bebaut wurde das Gelände 1888 und dann jahrzehntelang als Eisengießerei der Firma „Grether & Cie“ betrieben. 1951 wurde der Betrieb komplett eingestellt. Danach gab es eine Mischnutzung durch Kleingewerbe bis 1977. Mit dem Einzug des „Gebrauchtwarenlagers“ 1977, das erste alternative Projekt in Freiburg, beginnt auch die alternative Geschichte des Geländes. Es formt sich erster Widerstand gegen den geplanten Abriss. Das Gelände gerät in den Fokus von Sanierungsinteressen.
Aufbau
1980 entsteht der „Verein für Leben und Arbeiten in der Fabrik“. Auch unter dem Eindruck des Freiburger Häuserkampfes beschließt der Gemeinderat 1982 den Erhalt des Geländes. 1983 kauft die Stadt das Gelände. Das Projekt „Umnutzung der Maschinenhalle“ entsteht (das spätere Grether West). 1987 kann nach zähen Verhandlungen ein Erbpachtvertrag mit der Stadt unterzeichnet werden. Ein geplantes Kulturzentrum in der Gießereihalle fällt Protesten der Anwohnerschaft und der Bleiverseuchung zum Opfer. Die Initiative Grether Ost gründet sich, erklärt sich bereit, die Gießereihalle in Eigenregie zu sanieren und kann 1991 gegen große Widerstände tatsächlich kaufen. 1995 wird der Kaufvertrag für Grund und Boden unterzeichnet. 2000 kann dann mit der dritten Initiative „Grether Süd“ auch der letzte Teil des Geländes erworben werden.
Verstetigung
Saniert und gebaut wurde insgesamt 19 Jahre lang. Mit dem Ausbau der Maschinenhalle ging es 1987 los. 2006 konnte das Bauprojekt mit der Fertigstellung eines barrierefreien Neubaus im Südareal abgeschlossen werden.
Auf lange Sicht
Heute gibt es nur noch Erhaltungssanierungen.
Am besten liest sich die Geschichte vom Projekt selber erzählt.
Finanzierung
Mischfinanzierung aus Bankkrediten und Direktkrediten. Abgesehen von Landesbank-Krediten gab es keine öffentliche Förderung, außer den Wohnbaufördermitteln für die Sozialwohnungen. Der Schwerpunkt ist eindeutig auf die Finanzierung über möglichst viele Privatkredite (sog. Direktkredite) ausgerichtet. Dabei legen Menschen, die ein solches Projekt unterstützenswert finden, ihre Ersparnisse nicht bei der Bank, sondern direkt bei einer der drei GmbHs an. Aktuell mit einem Zinssatz von 1,4 Prozent. Kein Wunder, dass das Interesse größer denn je ist. Und das, obwohl es sich um Risiko- oder sogenannte Nachrangkredite handelt. „Wenn wir pleitegehen, guckst du in die Röhre“, bringt es Richard Rögler auf den Punkt, der dem Projekt selber zwei Direktkredite gegeben hat, eins davon sogar zinslos. Doch von einer prekären Finanzlage kann derzeit keine Rede sein. „Wir müssen im Moment eher aufpassen, dass wir nicht zu viele Kredite bekommen“, so Tommy Hohner. Die restliche Finanzierung von Grether West und Grether Ost lief neben den Direktkrediten über Bankkredite der GLS-Bank und der Landesbank. Grether Süd ist komplett ohne Bankkredit finanziert.
Dieser Finanzierungsmix und die Selbstverwaltung durch die Mieter macht es bis heute möglich, dass auf dem „Grether“ fürs Wohnen im Schnitt unterm Strich nur 250 Euro Miete plus Nebenkosten anfallen. Darin enthalten ist auch ein Solidarzuschlag von 10 Prozent für das Mietshäuser Syndikat, mit dem die etablierten Projekte Neuen unter die Arme greifen können. „Wir haben halt keine Gewinninteressen“, erläutert Tommy Hohner das Grundprinzip und fügt hinzu: „Gerade unsere sozialen Projekte auf dem Grethergelände hätten sonst überhaupt keine Chance, innenstadtnah zu existieren.“ Gemeint sind viele der Mieter der Gewerberäume im Erdgeschoss: Das selbst organisierte, nicht kommerzielle Strandcafé, der alternative Radiosender Dreyeckland, das Antiklager, die Anlaufstelle für Geflüchtete „rasthaus“, die beiden Kitas, das Feministische Zentrum, der Schwulenverein „Rosa Hilfe“, das Archiv Soziale Bewegungen oder die Food-Coop.
Grether West/Gründung 1980: Pacht auf Erbbaurechts-Basis über 80 Jahre im Jahr 1987 (Gesamtkosten des Umbaus: 1,5 Mio. (Privatdarlehen: damals 500.000 D-Mark), Miete heute 6 Euro pro Quadratmeter, Solidarbeitrag Mietshäuser Syndikat 0,46 Euro pro Quadratmeter
Grether Ost/Gründung 1991: Kauf 1995 Gebäude und Grundstück, Gesamtkosten Sanierung 4,5 Mio. Euro (mit Altlastensanierung), Miete heute 6 Euro pro Quadratmeter, Solidarbeitrag Mietshäuser Syndikat 0,53 Euro pro Quadratmeter
Grether Süd/Gründung 2000: Kauf 2000, Gesamtkosten 700.000 Euro, Miete heute 6 Euro, Solidarbeitrag Mietshäuser Syndikat 0,33 Euro
Organisationsform
Die Organisationsform ist – wie bei allen Projekten des Mietshäuser Syndikats – die einer GmbH. Durch die lange zeitliche Entwicklung sind deshalb auf dem Grethergelände drei GmbHs entstanden. Vorteil ist, dass über die Verschachtelung mit der Mietshäuser Syndikats GmbH eine Neutralisierung des Eigentums erreicht wird und damit jeglicher Spekulation Einhalt geboten wird. Jede der drei Hausbesitz-GmbHs hat zwei Gesellschafter, den Hausverein der Mieter und das Mietshäuser Syndikat. Das sorgt für günstige Mieten und für eine große Sicherheit bei den Mietern, die über ihre Belange in diesem Konstrukt mitentscheiden können.
Kommunikation
Geworben wird über Flyer, Broschüren und über die Internetseite www.grether.syndikat.org. Regelmäßig gibt es für die Bewohner und die Nachbarschaft offene Veranstaltungen, wie das jährliche Hoffest, die Lese- und Konzertreihe „Nach(t)lese“ und Veranstaltungen zu unterschiedlichen Themen. Es gab auch verschiedene Werbekampagnen für neue Direktkredite. Immer mal wieder wird über einen Verteiler der Kontakt zur Presse gesucht. Es gibt einen Minijob für die Öffentlichkeitsarbeit.
Teamentwicklung
Jede der drei Einzel-GmbHs hat ein monatliches Plenum. Einmal im Monat gibt es ein Gesamtplenum. Per Mailverteiler wenden sich die Bewohner gelegentlich auch an einen erweiterten Kreis von Sympathisanten und Direktkreditgebern. Zum Jahresbeginn wird der Rundbrief „Grether Post“ verschickt. Es gibt einige wenige bezahlte Stellen und viel ehrenamtliche Tätigkeit. Alle Belange der Mitarbeiter werden auf den Plenen diskutiert. Hier gilt bei Entscheidungen etwa zu Renovierungsmaßnahmen oder Neuvermietungen das Konsensprinzip und nicht das Mehrheitsprinzip.
Die interne Kommunikation läuft darüber hinaus über Mailverteiler, Wiki und viele informelle Gespräche im Strandcafé oder anderswo.
Immobilien/Planen/Bauen
Bis zum Ende des Neubaus 2006 wurde ein großer Teil der Arbeiten von der eigenen, selbst organisierten Baugruppe übernommen. Nur spezialisierte Aufträge wurden nach außen vergeben, z. B. der Heizungsbau. Die Baugruppe hat sich mittlerweile professionalisiert und führt bis heute einen Großteil der anfallenden Arbeiten aus. Es gab immer auch projektbegleitende Architekten.
Nachbarschaft und Stadtteil
Über die vielen sozialen Projekte, die Betriebe und über das für alle offene Café kommen täglich viele Besucher auf das Gelände, teilweise auch aus der Nachbarschaft. Gemeinsam mit der Nachbarschaft beteiligt sich das Grethergelände derzeit am Widerstand gegen ein kommerzielles Sanierungsobjekt im Stadtteil. Auch zum Stadtteilverein gibt es einen intensiven Kontakt.
Wen oder welche Unterstützung brauchen wir noch?
Als schon lange etabliertes und funktionierendes Projekt wird heute nicht mehr so viel Unterstützung wie früher benötigt. Direktkredite gibt es derzeit genug. Beim Engagement für eine mietfreundliche Politik und gegen Kahlschlagsanierung und Gentrifizierung wünschen sich die Aktiven vom Grether allerdings noch mehr Unterstützung aus der Nachbarschaft.
Stolpersteine
Aktuell: Im vergangenen Jahr 2015 bedrohte die geplante Änderung des Kleinanlegerschutzgesetzes fast die Existenzgrundlage – die Annahme von Direktkrediten. Durch intensives Engagement konnte das Gesetzesvorhaben aber noch geändert werden.
Früher: Der Beginn der Projekte in den 80er Jahren war gespickt mit Stolpersteinen. Die Stadt als Eigentümerin plante den Abriss, es gab massive Sanierungsinteressen für das innenstadtnah gelegene Areal. Die hohe Schwermetallbelastung mit Blei und Cadmium in der ehemaligen Gießereihalle und auch Proteste aus der Nachbarschaft machten fertig vorliegende Pläne für ein Kulturzentrum zunichte. Erst eine aufwendige und teure Altlastensanierung ermöglichte die spätere Nutzung als Wohn- und Gewerbeeinheiten.
Links und Downloads
Webseite des Grethergeländes
Webseite des Mietshäuser Syndikats
Film zum Mietshäuser Syndikat 2016