Fotos: Susanne Küppers

Grethergelände Freiburg

„Attraktive, beste Innenstadtlage“ nennen das Makler und Investoren gewöhnlich. Schon der Name des Stadtteils – nur fünf Minuten Fußweg vom Hauptbahnhof in Freiburg entfernt – klingt verlockend: „Im Grün“, die Uni gleich um die Ecke. Ganz klar: Großstädtisches Gentrifizierungsareal mit hohen Mieten im schicken Neubau oder teuer sanierten Altbau. Doch es ist nur die halbe Wahrheit: Am Ende der Sackgasse Adlerstraße rechts rein führt der Weg in eine Art Oase. Auf dem kunterbunten, öko-charmigen Grethergelände trotzt man mit extrem günstigen Mieten seit über 30 Jahren dem immer aufgeheizteren Wohnungsmarkt in der Studentenmetropole, lebt und arbeitet solidarisch in der Gemeinschaft.

Weiterlesen

Projekt

Das Freiburger Grethergelände ist ein selbst verwaltetes, solidarisches Wohn-, Arbeits- und Lebensprojekt und der Ursprung des Mietshäuser Syndikats.

Gebäudetyp

Alte Eisengießerei mit Gießerei- und Maschinenhalle, Lagergebäude, Zwischenhalle und Neubau sowie zwei Höfen, Parkplätzen und Freigelände. Das Strandcafé und das Rasthaus laden zum Besuch ein, der politische Radiosender Radio Dreyeckland, die Rosa Hilfe e.V. und das feministische Zentrum sind hier genauso zuhause wie eine Kita oder die anarchistische Arbeiterbewegung. Und: Es wird gearbeitet im Möbellager, mehreren Werkstätten und Ateliers. Details im Lageplan.

Gesamtfläche oder Nutzflächen nach Nutzung

Grether Ost: Grundstück 2.477 qm, Wohnfläche 1.477 qm, Gewerbe 1.219 qm

Grether West: 1.032 qm, Wohnfläche 848 qm, Gewerbe 780 qm

Grether Süd: Wohnfläche 451 qm, Gewerbe 258 qm

Projektstatus

Etabliertes Projekt

Das Besondere – Erfolgsbausteine

  1. Das Grethergelände ist der Ausgangspunkt der Idee des Mietshäuser Syndikats. Die Grether West GmbH ist 1980 das erste Projekt des neu gegründeten Vereins „Mietshäuser Syndikat“. Heute gehören ihm bundesweit über 100 nicht kommerziell organisierte Wohnprojekte an. Alle mit dem Ziel, Wohnraum dem spekulativen Immobilienmarkt dauerhaft zu entziehen und zu günstigen Mieten anzubieten.
  2. Es ist gelungen, die Gebäude der ehemaligen Gießerei weitgehend zu erhalten.
  3. Es ist gelungen, das Projekt gegen große städtische Widerstände und massive Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Pläne gegen den Abriss konnten verhindert werden.
  4. Ein großer Teil der Sanierungsarbeiten konnte vom eigenen Bautrupp geleistet werden. Stichwort: Muskelhypothek.
  5. Das Projekt ist bis heute basisdemokratisch organisiert. Echte Teilhabe der Bewohner und Nutzer ist umfassend garantiert und wird wahrgenommen. Zweimal im Monat finden Plenumssitzungen statt.
  6. Es gibt keine Gewinnerwartung.
  7. Finanzierungsmix aus Direktkrediten und Bankkrediten ermöglicht dauerhaft niedrige Mieten.

Chronologie

Am Anfang


Bebaut wurde das Gelände 1888 und dann jahrzehntelang als Eisengießerei der Firma „Grether & Cie“ betrieben. 1951 wurde der Betrieb komplett eingestellt. Danach gab es eine Mischnutzung durch Kleingewerbe bis 1977. Mit dem Einzug des „Gebrauchtwarenlagers“ 1977, das erste alternative Projekt in Freiburg, beginnt auch die alternative Geschichte des Geländes. Es formt sich erster Widerstand gegen den geplanten Abriss. Das Gelände gerät in den Fokus von Sanierungsinteressen. 

Aufbau


1980 entsteht der „Verein für Leben und Arbeiten in der Fabrik“. Auch unter dem Eindruck des Freiburger Häuserkampfes beschließt der Gemeinderat 1982 den Erhalt des Geländes. 1983 kauft die Stadt das Gelände. Das Projekt „Umnutzung der Maschinenhalle“ entsteht (das spätere Grether West). 1987 kann nach zähen Verhandlungen ein Erbpachtvertrag mit der Stadt unterzeichnet werden. Ein geplantes Kulturzentrum in der Gießereihalle fällt Protesten der Anwohnerschaft und der Bleiverseuchung zum Opfer. Die Initiative Grether Ost gründet sich, erklärt sich bereit, die Gießereihalle in Eigenregie zu sanieren und kann 1991 gegen große Widerstände tatsächlich kaufen. 1995 wird der Kaufvertrag für Grund und Boden unterzeichnet. 2000 kann dann mit der dritten Initiative „Grether Süd“ auch der letzte Teil des Geländes erworben werden.

Verstetigung


Saniert und gebaut wurde insgesamt 19 Jahre lang. Mit dem Ausbau der Maschinenhalle ging es 1987 los. 2006 konnte das Bauprojekt mit der Fertigstellung eines barrierefreien Neubaus im Südareal abgeschlossen werden.

Auf lange Sicht


Heute gibt es nur noch Erhaltungssanierungen.

Am besten liest sich die Geschichte vom Projekt selber erzählt.

Finanzierung

Mischfinanzierung aus Bankkrediten und Direktkrediten. Abgesehen von Landesbank-Krediten gab es keine öffentliche Förderung, außer den Wohnbaufördermitteln für die Sozialwohnungen. Der Schwerpunkt ist eindeutig auf die Finanzierung über möglichst viele Privatkredite (sog. Direktkredite) ausgerichtet. Dabei legen Menschen, die ein solches Projekt unterstützenswert finden, ihre Ersparnisse nicht bei der Bank, sondern direkt bei einer der drei GmbHs an. Aktuell mit einem Zinssatz von 1,4 Prozent. Kein Wunder, dass das Interesse größer denn je ist. Und das, obwohl es sich um Risiko- oder sogenannte Nachrangkredite handelt. „Wenn wir pleitegehen, guckst du in die Röhre“, bringt es Richard Rögler auf den Punkt, der dem Projekt selber zwei Direktkredite gegeben hat, eins davon sogar zinslos. Doch von einer prekären Finanzlage kann derzeit keine Rede sein. „Wir müssen im Moment eher aufpassen, dass wir nicht zu viele Kredite bekommen“, so Tommy Hohner. Die restliche Finanzierung von Grether West und Grether Ost lief neben den Direktkrediten über Bankkredite der GLS-Bank und der Landesbank. Grether Süd ist komplett ohne Bankkredit finanziert.

Dieser Finanzierungsmix und die Selbstverwaltung durch die Mieter macht es bis heute möglich, dass auf dem „Grether“ fürs Wohnen im Schnitt unterm Strich nur 250 Euro Miete plus Nebenkosten anfallen. Darin enthalten ist auch ein Solidarzuschlag von 10 Prozent für das Mietshäuser Syndikat, mit dem die etablierten Projekte Neuen unter die Arme greifen können. „Wir haben halt keine Gewinninteressen“, erläutert Tommy Hohner das Grundprinzip und fügt hinzu: „Gerade unsere sozialen Projekte auf dem Grethergelände hätten sonst überhaupt keine Chance, innenstadtnah zu existieren.“ Gemeint sind viele der Mieter der Gewerberäume im Erdgeschoss: Das selbst organisierte, nicht kommerzielle Strandcafé, der alternative Radiosender Dreyeckland, das Antiklager, die Anlaufstelle für Geflüchtete „rasthaus“, die beiden Kitas, das Feministische Zentrum, der Schwulenverein „Rosa Hilfe“, das Archiv Soziale Bewegungen oder die Food-Coop.

Grether West/Gründung 1980: Pacht auf Erbbaurechts-Basis über 80 Jahre im Jahr 1987 (Gesamtkosten des Umbaus: 1,5 Mio. (Privatdarlehen: damals 500.000 D-Mark), Miete heute 6 Euro pro Quadratmeter, Solidarbeitrag Mietshäuser Syndikat 0,46 Euro pro Quadratmeter

Grether Ost/Gründung 1991: Kauf 1995 Gebäude und Grundstück, Gesamtkosten Sanierung 4,5 Mio. Euro (mit Altlastensanierung), Miete heute 6 Euro pro Quadratmeter, Solidarbeitrag Mietshäuser Syndikat 0,53 Euro pro Quadratmeter

Grether Süd/Gründung 2000: Kauf 2000, Gesamtkosten 700.000 Euro, Miete heute 6 Euro, Solidarbeitrag Mietshäuser Syndikat 0,33 Euro

Organisationsform

Die Organisationsform ist – wie bei allen Projekten des Mietshäuser Syndikats – die einer GmbH. Durch die lange zeitliche Entwicklung sind deshalb auf dem Grethergelände drei GmbHs entstanden. Vorteil ist, dass über die Verschachtelung mit der Mietshäuser Syndikats GmbH eine Neutralisierung des Eigentums erreicht wird und damit jeglicher Spekulation Einhalt geboten wird. Jede der drei Hausbesitz-GmbHs hat zwei Gesellschafter, den Hausverein der Mieter und das Mietshäuser Syndikat. Das sorgt für günstige Mieten und für eine große Sicherheit bei den Mietern, die über ihre Belange in diesem Konstrukt mitentscheiden können.

Kommunikation

Geworben wird über Flyer, Broschüren und über die Internetseite www.grether.syndikat.org. Regelmäßig gibt es für die Bewohner und die Nachbarschaft offene Veranstaltungen, wie das jährliche Hoffest, die Lese- und Konzertreihe „Nach(t)lese“ und Veranstaltungen zu unterschiedlichen Themen. Es gab auch verschiedene Werbekampagnen für neue Direktkredite. Immer mal wieder wird über einen Verteiler der Kontakt zur Presse gesucht. Es gibt einen Minijob für die Öffentlichkeitsarbeit.

Teamentwicklung

Jede der drei Einzel-GmbHs hat ein monatliches Plenum. Einmal im Monat gibt es ein Gesamtplenum. Per Mailverteiler wenden sich die Bewohner gelegentlich auch an einen erweiterten Kreis von Sympathisanten und Direktkreditgebern. Zum Jahresbeginn wird der Rundbrief „Grether Post“ verschickt. Es gibt einige wenige bezahlte Stellen und viel ehrenamtliche Tätigkeit. Alle Belange der Mitarbeiter werden auf den Plenen diskutiert. Hier gilt bei Entscheidungen etwa zu Renovierungsmaßnahmen oder Neuvermietungen das Konsensprinzip und nicht das Mehrheitsprinzip.

Die interne Kommunikation läuft darüber hinaus über Mailverteiler, Wiki und viele informelle Gespräche im Strandcafé oder anderswo.

Immobilien/Planen/Bauen

Bis zum Ende des Neubaus 2006 wurde ein großer Teil der Arbeiten von der eigenen, selbst organisierten Baugruppe übernommen. Nur spezialisierte Aufträge wurden nach außen vergeben, z. B. der Heizungsbau. Die Baugruppe hat sich mittlerweile professionalisiert und führt bis heute einen Großteil der anfallenden Arbeiten aus. Es gab immer auch projektbegleitende Architekten.

Nachbarschaft und Stadtteil

Über die vielen sozialen Projekte, die Betriebe und über das für alle offene Café kommen täglich viele Besucher auf das Gelände, teilweise auch aus der Nachbarschaft. Gemeinsam mit der Nachbarschaft beteiligt sich das Grethergelände derzeit am Widerstand gegen ein kommerzielles Sanierungsobjekt im Stadtteil. Auch zum Stadtteilverein gibt es einen intensiven Kontakt.

Wen oder welche Unterstützung brauchen wir noch?

Als schon lange etabliertes und funktionierendes Projekt wird heute nicht mehr so viel Unterstützung wie früher benötigt. Direktkredite gibt es derzeit genug. Beim Engagement für eine mietfreundliche Politik und gegen Kahlschlagsanierung und Gentrifizierung wünschen sich die Aktiven vom Grether allerdings noch mehr Unterstützung aus der Nachbarschaft.

Stolpersteine

Aktuell: Im vergangenen Jahr 2015 bedrohte die geplante Änderung des Kleinanlegerschutzgesetzes fast die Existenzgrundlage – die Annahme von Direktkrediten. Durch intensives Engagement konnte das Gesetzesvorhaben aber noch geändert werden.

Früher: Der Beginn der Projekte in den 80er Jahren war gespickt mit Stolpersteinen. Die Stadt als Eigentümerin plante den Abriss, es gab massive Sanierungsinteressen für das innenstadtnah gelegene Areal. Die hohe Schwermetallbelastung mit Blei und Cadmium in der ehemaligen Gießereihalle und auch Proteste aus der Nachbarschaft machten fertig vorliegende Pläne für ein Kulturzentrum zunichte. Erst eine aufwendige und teure Altlastensanierung ermöglichte die spätere Nutzung als Wohn- und Gewerbeeinheiten.

Links und Downloads

Webseite des Grethergeländes
Webseite des Mietshäuser Syndikats
Film zum Mietshäuser Syndikat 2016