Bauwagenplatz als Kultur- und experimentelles Wohnprojekt legalisiert
Ein experimenteller Freiraum für Projekte jeglicher Art, eine Ermöglichungsplattform für Veranstaltungen in den Bereichen Kultur, Kunst, Bildung, Nachhaltigkeit, Stadtentwicklung, Selbstfindung und ein nachhaltiges, achtsames Wohnprojekt in Wagen und fliegenden Bauten. Und das alles im eher braven Touristenstädtchen Friedrichshafen am Bodensee. Ob Konzert, Yoga, Klavierkonzert, Bauchtanz oder Kleidertausch – alles geht und alles findet regen Besucherandrang. Auch aus der Region, die für selbstorganisierte Projekte und alternative Kultur weniger bekannt ist.
WeiterlesenDie Blaue Blume e.V.
Bietet experimentellen Freiraum für Projekte aller Art, ist Wohnprojekt in verschiedenen Wagen und macht Stadtentwicklung für die Stadt von morgen…
Fliegende Bauten und Bauten ohne Fundament (Busse, Bauwagen, und selbstgebaute Konstruktionen)
Mobile Immovielien
1600 qm
Nach der Baugenehmigung (Mitte August) und Nachtragsbaugesuch (Ende November) erfolgt die Bauabnahme voraussichtlich im Februar 2018 – Pionierphase.
Der Verein etablierte sich unter anderem durch ein breites Kulturprogramm und die Veranstaltung einer Bauwoche im August 2016. Im Oktober 2016 fanden nichtöffentliche direkte Gespräche zwischen der Stadtverwaltung, dem Verein und auch der Zeppelin Universität statt. Im November setzte dann auch wieder der Beratungsprozess innerhalb der offiziellen Gremien der Stadt ein. Die Blaue Blume war in den nicht öffentlichen Teil einer Gemeinderatssitzung eingeladen worden und hatte hier die Möglichkeit, ihre Vision zu erklären (Vorgestellt wurde das Freiraumkonzept). Nach der Sitzung des Technischen Ausschusses zeichnete sich eine Mehrheit für die Verpachtung des städtischen Geländes ab und es begann die letzte Phase der Öffentlichkeitsarbeit bis in die Gemeinderatssitzung hinein, in der die Presse und Ratsmitglieder neben der allgemeinen Darstellung der unterschiedlichen Meinungen zusätzlich über Kosten und das weitere Vorgehen informiert wurden.
Schon von Anfang an hat die Blaue Blume guten Kontakt zu verschiedenen Architekten, die auch in der Architektenkammer Baden-Württemberg bzw. Bodenseekreis Mitglied sind. Mit diesen wurde nach dem Gemeinderatsbeschluss an den Bedingungen, Plänen und Dokumenten für eine einfache Baugenehmigung gearbeitet. Zudem hat sich das Projekt im Vorfeld mit rechtlichen Problemen anderer Wagenplätze auseinandergesetzt. Um Kosten zu sparen wurde vereinbart, welche Aufgaben von welchen Architekten- und Vermessungsbüros (meist pro bono) übernommen werden und welche in Eigenleistung erbracht werden können: etwa Verkehrszählungen und Zeichnungen der Wagen und anderen fliegenden Bauten. Auch fanden bereits erste Gespräche mit dem Bauordnungsamt, dem Verein und zwei der Architekten statt, um Themen, die im Genehmigungsprozess problematisch sein könnten, vorher zu klären. Bei einigen Themen sah die Verwaltung die Möglichkeit von Befreiungen (z.B. Barrierefreiheit), und bei anderen Themen hingegen, musste leider auf die bauordnungsrechtliche Standardvariante umgestiegen werden (z.B. Toilettenwagen mit Wasseranschluss statt Komposttoilette). Bauwagen werden mit der Baugenehmigung als Gebäude und Neubau klassifiziert. Andere Bauten, die als Lager oder ähnliches genutzt werden, sind, bis auf eine während des Festivals entstandene Sitzbank und eine Skulptur (da findet der Prozess der Genehmigung allerdings noch statt), als nicht genehmigungspflichtig eingeordnet. Der Verein hat zudem für die befristete Befreiung vom B-Plan gezahlt, sodass die Nutzung des Grundstücks für Kultur- und Wohnzwecke auch baurechtlich erlaubt ist.
Die Finanzierung des Vereins und insbesondere des Umzuges basiert seit Beginn auf einer Mischung aus Spenden, die vor allem bei Veranstaltungen gesammelt werden, der Förderung durch Stiftungen in Höhe von insgesamt über 21.000 Euro (u. a. Wüstenrot Stiftung, Anstiftung, Zeppelin Universitätsgesellschaft, und Lena-Weiß Initiative) sowie einer großen Anzahl an Sachspenden und Leihgaben.
Die Finanzierung des Umzuges wurde über eine erhöhte Stiftungsförderung, eine Crowdfunding-Kampagne und durch Sachspenden finanziert. Außerdem wurden fast alle Arbeiten, die für das Baugesuch nötig waren, auf pro bono Basis durchgeführt oder in Eigenleistung übernommen.
Bis zum Jahr 2021 (Ende der Zwischennutzung) wird der Verein nach aktuellem Stand (noch in Verhandlung mit der Stadt um Kosten zu reduzieren/umzuschichten) 35.800 Euro an Stadt und Stadtwerke für Verwaltungs- und Erschließungskosten, sowie Miete gezahlt haben. Das sind ca. 750 Euro monatlich auf 4 Jahre gerechnet. Die Kosten für den Umzug bestehen zu 51 % aus Zahlungen an die Stadt und Stadtwerke.
Rein rechtlich ist die Blaue Blume als Verein organisiert. Alle Entscheidungen werden konsensdemokratisch getroffen. D.h. in Gesprächen mit der Stadt sind Vertreter des Vereins nicht entscheidungsbefugt sondern es muss erst ein Votum aus dem Verein eingeholt werden.
Der Verein setzt auf offene Kommunikation, sowohl nach innen als auch nach außen. Dieser Anspruch stößt zuweilen an seine Grenzen, z.B. wenn in direkten Verhandlungen mit der Stadt Verschwiegenheit gefordert wird. Doch der Anspruch bleibt, offen immer alle Akteure in die nächsten Schritte einzubinden (Verwaltung, Gemeinderat, Presse, Öffentlichkeit).
Die Webseite der Blauen Blume http://dieblaueblume.org/ berichtet über Aktionen, Geschichte und Aktuelles.
Zu Projektbeginn stand vor allem die Idee einer experimentellen und alternativen Lebenskultur im Vordergrund. Eine Gruppe von Freunden entwickelte auf einer kleinen Obstwiese bei einer befreundeten Bäuerin gemeinsam Veranstaltungen und baute an Bauwagen. Im Laufe der Zeit wurde auf unterschiedliche Weise die Teamzusammenarbeit “professionalisiert”. So gibt es wöchentliche Teamtreffen, die mit einer Agenda vorbereitet werden. Außerdem gibt es verschiedene Arbeitsgruppen.
Jedes Jahr wird ein „Hüttenwochenende“ veranstaltet, bei dem es um Wünsche und Konflikte im Team und in der Blume geht. Und natürlich darum, gemeinsam Zeit miteinander zu verbringen und Spaß auch außerhalb der Blume zu haben.
Inzwischen ist die erste Generation zum Teil schon nicht mehr in Friedrichshafen. Es gibt Teammitglieder, die die Entwicklung des hier dargestellten Projektes nicht mitbekommen haben. D.h., dass teilweise gewachsene Strukturen nun schon so lange bestehen, dass „jüngere“ Blumenmenschen diese zwar nutzen können, aber auch gleichzeitig kritisch reflektieren.
Der Verein hat einen Vereinsbus, der für das Kulturprogramm genutzt wird, sowie einige Lagerräume, die im Laufe der Zeit hinzugekommen sind. Es gibt eine offene Außenküche, eine mobile Bühne und seit der letzten Bauwoche eine Sitzbank über zwei Etagen.
Zum Wohnprojekt gehören zudem Bauwagen der Bewohner*innen, sowie der Küchenbus und ein mit dem Kulturprojekt geteilter Badwagen.
Weitere Bauprojekte werden in der jährlichen Bauwoche, mit Vorplanung, aber auch in situativer Entwicklung umgesetzt.
Im Baugenehmigungsverfahren erfolgen gerade die letzten Schritte: Nach einer eingereichten Tektur, weil Wagen nicht wie geplant stehen konnten und Neues entstanden ist, wird die Bauabnahme erwartet. Von Projektseite sind alle Bedingungen und Auflagen der Baugenehmigung erfüllt (Entfernen eines Wagens, Abwasser-und Zuwasseranschlüsse, Stromversorgung, Kennzeichnung von Notausgängen, statische Prüfung etc.).
Das Projekt ist von der Nachbarschaft Windhag in das Areal Fallenbrunnen gezogen (ca. 1,5 km entfernt) dies in Planung durch die Stadt. Derzeit sind die Nachbarn, vor allem Bildungseinrichtungen (Zeppelin Uni, Duale Hochschule, sowie eine Schule und Kindergarten) aber auch alteingesessene Kultureinrichtungen (Kulturhaus Caserne, in einem Verein organisiertes Kino). Zudem gibt es viele Spaziergänger, den Schießsportverein, der im Heizhaus trainiert, und die Unternehmen des alten Fallenbrunnens. Sie alle sind zu den Veranstaltungen und zum regelmäßigen Sonntagscafé eingeladen. Insbesondere die Studierenden der Zeppelin Universität nehmen den Platz und das Geschehen nun deutlicher wahr, denn bisher gibt es keine Hecke oder Sichtschutz zur Straße und Universität.
Die Blaue Blume kann Unterstützung gebrauchen von jemanden, der in der Stadt eine Stimme hat und auch von konservativen Teilen geschätzt wird und gleichzeitig Neugierde für das Innovative und Alternative mitbringt. Intern gibt es allerdings auch Debatten darüber, sich zu sehr anzupassen und so die eigenen Themen wie alternative und experimentelle Lebensformen zu verlieren.
Der Weg der Legalisierung und die Herausforderungen der Bürokratie brauchen einen langen Atem und viel Energie. Dabei geht es vor allem um rechtliche und finanzielle Fragen.
Schwierig war und ist die Gleichbehandlung aller Bauherr*innen im Bauordnungsrecht der Genehmigungsbehörden, vor allem weil das Thema “Bauen und Wohnen” in der schwäbischen Kleinstadt (Schaffe, Schaffe Häusle baue) mit Seelage und einigen großen Firmen ein ehr Brisantes ist. Denn die Normen und Rechtsgrundlagen der Landesbauordung und städt. Satzungen passen nicht zur Realität des Projektes (ein mobiler Wagenplatz). In Bezug auf finanzielle Kapazitäten aber auch in baulichen Kontexten hat das die Blaue Blume an Grenzen gebracht. Denn Busse und Bauwagen sind keine Gebäude der Energieeffizienzklasse 2 und die Wohnwagen sind faktisch keine Neubauten. Baurechtlich wird aber jeder Umzug als Abriss- und Neubau bewertet. So sind gerade die Besonderheiten, die eigentlich Alternatives testen und ermöglichen sollen, immer wieder ein Problem. Zum Beispiel war die seit Jahren erfolgreich genutzte Komposttoilette nicht zulässig und es musste ein Toilettenwagen mit Ver- und Entsorgungsleitungen gebaut werden. Lösungen und Einsichten müssen mühsam ausgehandelt werden.
Zusätzlich ist es bei so einem großen selbstorganisierten Vorhaben schwer die Erwartungen im Team in Bezug auf das Ergebnis zu klären: Wie stark muss man sich professionalisieren? Wie organisiert man einen so langfristigen Prozess, der nie komplett fertig ist, immer wieder Überraschungen mit sich bringt und eigentlich der Arbeit mehrerer Vollzeitstellen entspricht? Wie schafft man es also, ein ehrenamtliches Team, das hinter dem Projekt steht, vor Selbstausbeutung zu schützen?
Autorin: Franziska Ortgies / Blaue Blume
Download: Konzept
Download: Genehmigungsverfahren
Webseite: Blauen Blume