Das Kreativzentrum Werft34 in der Salinenstrasse überzeugt durch seinen Laborcharakter, den hohen Anteil an Eigenleistungen und durch stabile, zum Teil sogar europäische Netzwerke. Auf vier Etagen einer städtischen Altbau-Ruine im von Leerstand und Verfall geplagten Erfurter Norden haben Jugendliche, Studierende und junge Startups in nur zwei Jahren ihre künftigen Arbeitsorte, aber auch Seminar- und Gemeinschaftsräume selbst instandgesetzt und ausgebaut. Und sie haben mit Mut, Muskelkraft und viel Fleiß den Grundstein gelegt. Nicht nur für die eigene berufliche Perspektive, sondern auch für ein langfristig selbstorganisiertes, soziokulturelles Engagement junger Menschen im Quartier.
WeiterlesenSaline34 / Werft34
Gebäudesanierung mit Jugendlichen und Studierenden als Kulturort im Erfurter Norden und als Existenzgründungszentrum für junge Menschen.
Gründerzeitliches Eckhaus mit Ladenlokal, Baujahr ca. 1900, stark sanierungsbedürftig, im Besitz der Stadt Erfurt.
ca. 1.000 qm, Gemeinschaftswerkstatt – Siebdruck, Seminarräume, Ateliers, Büroräume, Gemeinschaftsküche, Ladenlokal als offenes Wohnzimmer.
Pionierphase
Die schnelle, niedrigschwellige Instandsetzung des maroden städtischen Gebäudes mit viel Eigenleistung der jugendlichen Nutzer und wenig Geld zeigt, wie hoch die Motivation war, sich eigene kreative Räume als künftige Arbeitsräume zu schaffen.
Im Rahmen des Modellvorhabens „Phase2“ konnte, gefördert durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und mit Unterstützung der Landeshauptstadt Erfurt, die Reaktivierung eines über mehr als sieben Jahre leerstehenden Wohnhauses in der Salinenstraße 34 erfolgen. Kerngedanke des Projektes war es, Leerstand für Jugendliche und junge Erwachsene nutzbar zu machen und einen Umbau möglichst in Regie dieser ehrenamtlich Engagierten durchzuführen. So wurden 80 % der nutzbaren Fläche durch engagierte junge Menschen für die eigenen Projektideen und Konzepte erschlossen.
In der Saline34 treffen die unterschiedlichsten Nutzungsformen zusammen. Mehr als 25 Engagierte betreiben hier ein Ladenlokal, eine Siebdruckwerkstatt, ein Fotolabor, ein Tonstudio, ein Atelier, eine Videowerkstatt, eine Greenbox u.v.m. Die verschiedenen Nutzungen sind dabei nicht ausschließlich nach innen gerichtet, sondern bieten der Bevölkerung im Stadtteil und in der Stadt vielfältige Partizipationsmöglichkeiten.
Damit wurde ein wichtiger struktureller Grundstein für das selbstorganisierte soziokulturelle Engagement junger Menschen in Erfurt gelegt. Besonders ist auch die Erweiterung der Bildungslandschaft in Erfurt Nord durch das Projekt. Neben den schnell ausgebuchten Arbeitsräumen hat Plattform e. V. Workshop-Angebote, offene Werkstätten, vielfältige Veranstaltungen und ein offenes Wohnzimmer geschaffen, die für das ganze Quartier nutzbar sind.
Der gesamte Ansatz besteht aus drei Projekten mit drei Namen und drei Fördergebern, die alle zusammen zum Gelingen und funktionieren des Projektes beitragen:
2009
Plattform e. V. startet Projekt „Ladebalken“: ein Erfurter Jugendfonds zur aktiven Teilhabe von Jugendlichen. Sie verstehen sich als Drehscheibe für die Ermöglichungskultur in Erfurt. Eine Idee von „Ladebalken“: In einem leerstehenden Gebäude sollen alternative Nutzungsformen für Kunst, Kultur und Werkstätten entstehen. Analog zum Jugendfonds von „Ladebalken“, dem ExWoSt-Forschungsprojekt (Experimenteller Wohnungs- und Städtebau), das von 2009-2010 lief, sollten die Jugendgruppen hierbei fachliche und materielle Unterstützung von den Projektinitiatoren erhalten. So wird ein Folgeantrag an das BBSR (Bundesinistitut für Bau-, Stad- und Raumforschung) gestellt.
Anfang 2011
Aufbauend auf den guten Kontakten aus dem Projekt „Ladebalken“ konnte mit breiter politischer Unterstützung zusammen mit der Verwaltung in nur drei Wochen ein städtisches Gebäude gefunden werden.
Erstellung einer bautechnischen Machbarkeitsstudie zur Wiederinbetriebnahme des maroden Gebäudes. Ergebnis: Das zum Abriss freigegebene städtische Gebäude in der Salinenstr. 34 im „Soziale Stadt“-Gebiet Erfurt Nord eignet sich als neues Zentrum des durch Leerstand geprägten Viertels. Ab November 2011 wird mit Anschubfinanzierung für 13 Monate aus dem ExWoSt Programm Forschungsfeld „Jugend belebt Leerstand“ gestartet.
Unterzeichnung der Nutzungsvereinbarung zwischen Stadt Erfurt und Plattform e.V. am 22.11.2011 über die kontinuierliche Nutzung bis Ende 2015. – Vertrag zum Download
Die Belebung und Nutzung des Gebäudes wurde durch ein zweistufiges, paralleles Verfahren schon während des Umbaus erreicht. Um die Nutzung zu stabilisieren förderte die Schweizer drosos Stiftung das Projekt Werft34 als Gründerlabor über drei Jahre ab 2013.
In 2017 bauliche Sanierung Dachstuhl und Keller aus Fördermitteln Soziale Stadt mit 30% Eigenanteil Stadt Erfurt.
Nach der arbeitsintensiven Instandsetzung konzentrierten sich die Akteure nun stark darauf, die Hausgemeinschaft zu bilden und sich weiter im Viertel und Erfurter Norden verankern. Die Nutzer gründen einen eigenen Verein Saline34 e.V. und betreiben das Haus in Eigenverantwortung. Ein langfristiges Nutzungsrecht wird mit der Stadt Erfurt derzeit verhandelt. Die Saline34 hat sich so zu einer soziokulturellen Begegnungsstätte und einem wichtigen Knotenpunkt im Quartier entwickelt.
Das Gebäude wird von der Stadt unter Zahlung von Betriebskosten in Höhe von monatlich ca. 530 Euro Plattform e. V. bis Ende 2015 zur Verfügung gestellt.
Die Anschubfinanzierung für die Sanierung in Höhe von 120.000 Euro wurde aus dem ExWoSt Programm „Jugend belebt Leerstand – Phase 2“ gefördert, alle weiteren Kosten durch Spenden und Eigenleistung. Die Stadt stimmt dem Projekt nur zu, weil dadurch keine Kosten für diese entstehen.
Das Existenzgründungsprojekt Werft34 wird für drei Jahre über die Stiftung drosos in Höhe von ca. 410.000 Euro mit einem Eigenanteil von ca. 10.000 Euro gefördert. Inhalt ist die wirtschaftliche Teilhabe, Verbesserung der Einkommenssituation der Gründer, Stabilisierung der soziokulturellen Ökonomie. Sich selber durch soziokulturelle Arbeit selbsttragend erhalten.
Der Erfolg der Saline34 hat auch Politik, Verwaltung und Kämmerer überzeugt. Ab 2017 wird aus Mitteln des Städtebaus aus dem Förderprogramm „Soziale Stadt“ mit einem städtischen Eigenanteil von 30 % das Dachgeschoss saniert und ausgebaut und die Kellerdecke statisch stabilisiert, so dass im Laden wieder größere Veranstaltungen möglich sind.
Der Verein Plattform e. V. versteht sich als eine Werkstatt für innovative Lösungsansätze gesellschaftlicher Problemfelder. Er arbeitet bereits seit 2008 an verschiedenen experimentellen, partizipativen Ansätzen, um Jugendlichen und jungen Erwachsenen die aktive Teilnahme am Leben in ihren Stadtvierteln zu ermöglichen. Gegründet von erfahrenen Projektmanagern, Medienwissenschaftlern, Künstlern und Pädagogen ist hier genau die richtige Mischung an Kompetenz am Werk, um Anträge zu stellen und die Nutzer der Projekte vernetzt zu etablieren.
So konnte aus zuvor entstandenen Netzwerken leicht eine Stammgruppe möglicher Nutzer geschöpft werden. Während die Vergabe der einzelnen Räume auch räumlich erstaunlich gut und passgenau vorgenommen werden konnte, geschah eine endgültige Auswahl der Nutzer durch das Team. Der tragende Leitgedanke war dabei, eine möglichst große und sich ergänzende Vielfalt der Nutzungsformen zu erzielen. Dabei wurden auch Qualität und Output im Sinne der grundsätzlichen Konzeption des Projekts bewertet und die notwendigen baulichen Änderungen und bautechnischen Rahmenbedingungen einbezogen.
Die Belebung des Hauses erfolgte in zwei Phasen. In der ersten Phase wurden Nutzungskonzepte von jugendlichen Projektgruppen und Initiativen gesammelt und ausgewählt und parallel das Gebäude in Stand gesetzt (Saline34). In der zweiten Phase (Werft34) wurden auf 50% der Raumfläche langfristige Projekte gestartet. Die verbleibende Fläche sollte durch Projektausschreibungen immer wieder temporär an Jugendgruppen vergeben werden, um auch kurzfristige Gestaltungs- und Betriebsideen umsetzen zu können. So konnten sehr schnell für alle Räume Nutzer gefunden werden. Es zeigte sich, dass das Interesse an einer dauerhaften Nutzung wesentlich höher war, als an einer temporären.
Nach Ablauf der Förderung für Werft34 gründete sich in 2016 aus den Stammnutzern der Verein Saline34, der auch die Verträge über die weitere Nutzung des Gebäudes mit der Stadt aushandelt.
Im Sommer 2013 startete das Existenzgründungszentrum Werft34 mit der Herausforderung, sich bekannt zu machen und eine Öffentlichkeit herzustellen. Die Strategie war, über vorhandene Netzwerke kreative Erfurter in die Werft zu lotsen, um mit ihren Ideen Multiplikatoren aufmerksam zu machen. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda gelang es, ca. 35 Kulturschaffende für ein erstes Treffen zu begeistern. Bei Kaffee, Kuchen und bestem Wetter stellte sich am 30. Juni 2013 erstmals die Werft34 einer kleinen Öffentlichkeit vor. Mit den kreativen Köpfen wurde über deren Zukunft und die Möglichkeiten, die eine Projektteilnahme eröffnen würde, gesprochen. Nach Führung durch die Räumlichkeiten der Saline34 und durch die Aussicht selbst Teil der Hausgemeinschaft zu werden, schlossen viele sich dem kommenden Bewerbungsverfahren an.
Über einen Blog im Internet wurde Projekt-begleitend berichtet. Zudem gab es in der Umbauphase Aushänge im Haus. Saline34 und Werft34 haben eigene Internetseiten. Zudem stellt die Projektbroschüre Werft34 das Projekt grafisch ansprechend und werbewirksam vor. Download werft34
In monatlichen Treffen („Hauszeit“) wurden Bauabschnitte diskutiert, gemeinsame Arbeitseinsätze geplant, aber auch zusammen gekocht und gemütlich ausgetauscht. Jede Nutzerpartei soll mit mindestens einer Person daran teilnehmen. Um alle Entscheidungen gemeinsam zu treffen, entschieden sich die Nutzer für ein konsensdemokratisches Verfahren. Hier werden alle Entscheidungen so lange diskutiert, bis für alle eine tragbare Lösung entsteht. Das gemeinsame Bauen und die gemeinsame Verantwortung für das Haus waren wichtige Identitätsstiftende Instrumente.
Die sowohl zeit- als auch ressourcenintensivste Tätigkeit im Rahmen der Vorbereitungen war die bautechnische Beurteilung des Vorhabens. Gemeinsam mit Handwerksbetrieben, Gutachtern und einem unterstützenden Architekten realisierte eine Architekturstudentin eine Vielzahl von Begehungen und Bewertungen der vorhandenen Baumaterie. In diesem Zusammenhang wurden bauliche Schäden aufgedeckt, Pläne zur Reaktivierung aufgestellt und Kostenkalkulationen angefertigt. Im Zentrum stand dabei natürlich eine nach Prioritäten geordnete Sicherung des Gebäudes mit dem Ziel einer Wiederinbetriebnahme. Höchste Priorität kam dabei den Planungen von Beheizung, Installation von Wasser, Abwasser und Sanitäranlagen, Stromversorgung und dringende Sicherungsmaßnahmen an Dach, Fenster und Türen zu. Zur zweiten Priorität zählte die Planung der internen Infrastruktur entsprechend der Nutzungsart des Gebäudes und seiner Nutzergruppen. Nicht zuletzt galt es, die öffentlichen Anknüpfungspunkte des Objekts, wie Teeküchen, Ladenlokal und Hinterhof, auch kalkulatorisch ins Auge zu nehmen. In zeitraubender Detailarbeit und enger Absprache mit verschiedenen Fachleuten gelang es so, einen Kostenplan für die baulichen Aktivitäten aufzustellen, welcher den Anforderungen des zuvor kalkulierten Budgets entspricht.
Zur Kosteneinsparung war ein hoher Anteil an Eigenleistung zu erbringen. Wenn diese Arbeiten als Vorbereitung oder Begleitung der Arbeit der Fachgewerke erforderlich waren, war jedoch ein kurzfristiger Einsatz aufgrund von Belastung der Nutzer durch Studium, Beruf, Familie nicht immer zu organisieren.
Der Erfurter Norden ist ein stigmatisierter Stadtteil, der es nur schwer schafft, sein Image zu verbessern. In den letzten Jahren entstanden bereits einige Projekte im Norden, die das negative Image veränderten. Durch die Saline34 entstand ein weiteres wichtiges Projekt, um eine Trendwende im Erfurter Norden herbeizuführen. Das prominente Eckgebäude des Jugendbaus liegt in fußläufiger Entfernung zu anderen Projektstätten. Aufgrund seiner Größe und vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten war dieses Projekt geeignet dafür, zu untersuchen, wie ein Jugendbau zu einem wichtigen Kristallisationskern für weitere Entwicklungen im Viertel werden kann. Untersucht werden konnte außerdem, welche Rolle die Weiterentwicklung und das aktive Einsetzten von Jugendfonds in der Aktivierung von Leerstand spielen kann.
Die Salinenstraße liegt in einem Fördergebiet des Programms „Soziale Stadt“ der Städtebauförderung des Bundes und der Länder. Die Einbindung in Netzwerke im Quartier konnte über die Strukturen des Quartiersmanagements gut organisiert werden. So ist eine gute Kooperation zwischen den Initiativen gewachsen. Das Quartiersmanagement ist jedoch an politische Strukturen und Förderkulisse gebunden und von daher weniger frei und handlungsfähig für kreative und ggf. politische Projekte.
Die Tuchfühlung mit der lokalen Bevölkerung gestaltete sich am Anfang schwierig. Natürlich wurde das Projektvorhaben mit größtmöglicher Offenheit über eine Webpräsenz (www.ladebalken.info/phase2) und bereits bestehende Kanäle sozialer Netzwerke und Newsletter-Listen veröffentlicht. Zudem wurden die Konzeption sowie die inhaltlichen und baulichen Details im Bürgerbeirat den Multiplikatoren des Stadtteils vorgestellt. Zudem wurde am 26.10.2011 eine Ideenwerkstatt im Haus realisiert. Hier hatten die rund 40 Gäste die Möglichkeit, sich über das Projekt zu informieren, durch das Haus zu streifen und mit Hilfe von Plakatskizzen und Klebezetteln eigene Nutzungsvorschläge und Ideen anzubringen. Im Rahmen dieser öffentlichen Veranstaltung konnten auch erste positive Kontakte zu den Nachbarn geknüpft werden. So gelang ein solider Start in Hinblick auf Nutzergruppen und Anlieger.
Städtische Mittel für Kultur werden überwiegend gebunden durch Weltkulturerbe Mittelalterliche Innenstadt, daher werden kleine Initiativen von städtischer Seite kaum gefördert.
Eine Erweiterung auf das ebenfalls leerstehende Nachbarhaus in der Salinenstr. 33 ist denkbar und eigentlich in Hinblick auf die hohe Nachfrage kollaborativ geführten Raums notwendig. Leider ist das Gebäude in einem viel schlechteren Zustand und würde grundsätzlicher Investitionen bedürfen, die sich auf lokaler Ebene nicht ohne weiteres stemmen ließen.
Zur Kosteneinsparung war ein hoher Anteil an Eigenleistung zu erbringen. Wenn diese Arbeiten als Vorbereitung oder Begleitung der Arbeit der Fachgewerke erforderlich waren, war jedoch ein kurzfristiger Einsatz aufgrund der Belastungen der Nutzer durch Studium, Beruf und Familie nicht immer zu organisieren.
Der Kontakt zur Nachbarschaft musste in kleinen vertrauensbildenden Stufen aufgebaut werden und gelang erst, als sich die Nutzer auch als Gruppe außerhalb des Hauses in Quartiersprojekte einbrachten.
Zu den wichtigsten Unterstützern des Projektes – auch bezüglich der Bewerbung zur Förderung – zählte die Bürgermeisterin und die Leitung der Abteilung Liegenschaften der Stadt Erfurt sowie der Kulturlotse der Stadt. Auch die Unterstützung auf politischer Ebene war durch die Kontakte aus anderen Projekten gut zu organisieren.
Das Projekt funktioniert auch durch die ständige Offenheit für Vernetzungen, durch die Zusammenarbeit mit Hochschulen sowie die internationale Vernetzung mit Sozialarbeitern aus Marokko, Indien, Schweden u.a. Ebenso wichtig ist die Offenheit, auch die „Umgebung mit in den Fahrstuhl steigen zu lassen“.
Als Voraussetzung zum Start mussten Politik und Verwaltung mit in den Diskurs eingebunden werden. Hier zählte besonders, eigenes Geld akquiriert zu haben, um das Stadtsäckel durch das Projekt nicht zu belasten.
Die Transformation des Wissens und der Erfahrungen aus Werft34 in andere Projekte im Osten Deutschlands ist geplant.