Das Netzwerk Immovielien hat gemeinsam mit dem wohnbund und dem Forum Gemeinschaftliches Wohnen ein Positionspapier zum Vorschlag einer Neuen Wohngemeinnützigkeit veröffentlicht.
Als Verbände kleinerer Wohnungsgenossenschaften, gemeinschaftlicher Wohnprojekte und gemeinwohlorientierter Immobilienprojekte begrüßen wir die im Koalitionsvertrag festgehaltene Absicht der Bundesregierung, eine Neue Wohngemeinnützigkeit einzuführen. Es ist überfällig, dass die seit vielen Jahren beobachtbaren Probleme der Wohnungsversorgung auf grundsätzliche und nachhaltige Weise angegangen werden – die Wohngemeinnützigkeit bietet eine Chance dazu. Der anstehende Gesetzgebungsprozess wird nach unserer Einschätzung den wohnungspolitischen Erfordernissen nur gerecht, wenn die übergeordneten Ziele einer am öffentlichen Interesse orientierten Bodenordnung, der ökologisch-klimagerechten Transformation sowie des demographischen Wandels mitberücksichtigt werden.
Das Positionspapier kann hier heruntergeladen werden. Dieser Beitrag erschien zuerst im April 2023 auf dem Blog der Stiftung trias. Er wurde leicht angepasst und ist im Original hier digital abrufbar.
Auf Einladung unserer Netzwerkmitglieder Stiftung trias und der Stiftung Edith Maryon besuchte Bundesbauministerin Klara Geywitz, begleitet von Kolleg*innen aus den Fachreferaten des Bauministeriums (BMWSB), am 24. April 2023 zwei richtungsweisende Wohnprojekte in Berlin. Angesichts drängender wohnungspolitischer Themen können die Genossenschafts- und Erbbaurechtsprojekte Anregungen für politische Maßnahmen liefern, die eine sozialere und ökologischere Entwicklung der Wohnungsmärkte befördern. Mit der praktischen Anwendung des Erbbaurechts, aber auch von sog. „Milieuschutz-Satzungen“ und Vorkaufsrechten legte die Ministerin bei ihrem Besuch besonderes Augenmerk auf drei Instrumente der Stadtentwicklung, die derzeit politisch wie medial breit diskutiert werden. Mit ihren unterschiedlichen Modellen boten die beiden besuchten Wohnprojekte „Seume14“ und „Werkpalast“ für die Diskussion zahlreiche Anknüpfungspunkte.
Das Wohnprojekt Seume14 in Berlin-Friedrichshain ist beispielgebend mit seiner raffinierten Absicherung des selbstverwalteten Projekts gegen eine zukünftige spekulative Verwertung. Realisiert als Kooperation zwischen dem Mietshäuser Syndikat und der Stiftung Edith Maryon, bietet es durch die Kombination des Syndikats-Modells mit dem Erbbaurecht der Stiftung einen „doppelten Boden“, der eine profitorientierte Verwertung zuverlässig ausschließt und die günstigen Mieten für die 30 Wohnungen auf Generationen sichert. Außerdem beeindruckt das Projekt durch den hohen Grad an Eigenleistungen, die in die Sanierung des Altbaus fließen und ebenfalls zu den günstigen Mieten beitragen.
Der „Werkpalast“ in Berlin-Lichtenberg repräsentiert Wohnprojekte, die in Zusammenarbeit einer Genossenschaft und einer Bodenstiftung umgesetzt wurden. Beim Werkpalast, zu DDR-Zeiten als Kindergarten genutzt, zogen die Mietergenossenschaft SelbstBau e.G. und die Stiftung trias an einem Strang. Das solidarische Modell der Genossenschaft ermöglicht Mieter*innen mit unterschiedlichen Einkommen, Teil des bunt gemischten Wohnprojekts zu sein, in dem aktuell etwa 20 Kinder bzw. Jugendliche und 30 Erwachsene leben. Um dafür zu sorgen, dass der Werkpalast auch in Zukunft ein spekulationsfreies und solidarisches Projekt bleibt, ist neben der Mitgliedschaft in der Dachgenossenschaft SelbstBau e.G. wie beim Projekt Seume14 das Erbbaurecht, in diesem Fall von der Stiftung trias ausgegeben, der entscheidende Hebel.
Anlass des Besuchs der Bauministerin in den zwei Berliner Wohnprojekten war die Beteiligung der Stiftungen trias und Edith Maryon im Bündnis bezahlbarer Wohnraum. Seit der Konstituierung des bundespolitischen Bündnisses im April 2022 setzen sich die beiden Stiftungen im Schulterschluss mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen dafür ein, dass Themen wie eine nachhaltige Bodenpolitik, ökologisches Bauen und faire Bedingungen für gemeinwohlorientierte Akteure nicht zu kurz kommen. Nach sechs Monaten intensiver Bündnisarbeit wurde im Oktober 2022 ein umfangreiches Maßnahmenpaket verabschiedet, das sich aktuell in der Umsetzungsphase befindet. Die beteiligten Mitglieder aus dem Netzwerk Immovielien begleiten den Prozess weiterhin und setzen sich im „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ für mehr Gemeinwohl in der Stadt- und Immobilienentwicklung ein.
Am 29. und 30. September 2022 waren 45 Vertreter:innen von Kommunalverwaltungen, Projektkoordinator:innen, Berater:innen und Forschende in Tübingen zu Gast. Sie reisten aus 20 Kommunen an.
Tübingen ist eine DER Erstanwenderstädte von Konzeptverfahren für gemeinschaftliche Wohnprojekte in Deutschland und die Stadtentwicklung mit Baugemeinschaften hat hier mit über 25 Jahren Anwendungspraxis eine lange Tradition.
Die Dokumentation des Austausches ist ein kompaktes und aufschlussreiches Werk. Sie spiegelt die Diskussion des Austausches, die vor dem Hintergrund der massiven Herausforderungen durch hohe Bodenpreise, Baukostenexplosion und Wegfall der klassischen KfW-Zuschussförderung den Schwerpunkt „Hat Kooperativer Neubau eine Zukunft?“ hatte.
Basis des Austausches und der Diskussion im Plenum waren lnputvorträge zur Dachgenossenschaft Wohnen in Tübingen, zu Erfahrungen mit der Objektförderung in Hamburg und den Leipziger Erfahrungen beim Einsatz von Erbbaurechten für kooperatives und bezahlbares Bauen und Wohnen. Ergänzt wurde das Programm durch einen Themenblock zur Baurechtsschaffung in neuen Siedlungsgebieten mit Beiträgen zu den Ergebnissen aus Tübingen zur Evaluierung zurückliegender Bebauungspläne und zu Ankeranliegerkonzepten in neuen Siedlungsgebieten.
In 2023 wird das Format des Austausches pausieren und eine Denkphase für die Weiterentwicklung eingebaut.
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Die Dokumentation des 5. bundesweiten Erfahrungsaustauschs Konzeptverfahren aus dem Jahr 2022 und die Dokumentationen aus den Vorjahren können auf der Website des FORUM für Gemeinschaftliches Wohnen e.V. heruntergeladen werden.
Das neue Informationsangebot von WIN – Wissen, Informationen und Netzwerke für gemeinschaftliches Wohnen. Ein Beitrag von Mario Como und Sara Schmitt Pacifico.
Dieser Text erschien zuerst Januar 2023 in der Común #7. Die gesamte Ausgabe ist hier digital abrufbar.
Selbstbestimmtes Leben im Alter, Vernetzung zwischen Frankfurter Wohninitiativen und -projekten und gegenseitige Unterstützung im Realisieren der eigenen Wohnvorstellungen – dies waren einige der Beweggründe für die erste Organisierung rund um das Thema gemeinschaftliches Wohnen in Frankfurt am Main. Aus dieser Motivation heraus gründete knapp ein Dutzend selbstorganisierter Wohninitiativen, Einzelpersonen und Vertreter:innen sozialer Träger 2005 das »Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen« als gemeinnützigen Verein und schuf so die Grundlage der heutigen Interessensvertretung der Wohnprojekte. Die Vereinsarbeit basierte in den ersten Jahren auf der ehrenamtlichen Arbeit einiger weniger Aktiver. Nach vier Jahren gelang es, über viel politische Arbeit, Vernetzung und dem ständigen Wiederholen der Bedeutung des Themas für die Stadtentwicklung, eine Projektförderung über die Stadt Frankfurt zu etablieren. Seit 2009 finanziert das Amt für Wohnungswesen die hauptamtliche Arbeit des Netzwerks, es entstand die Koordinations- und Beratungsstelle für Initiativen und Projekte in Frankfurt. Öffentlichkeitsarbeit, Information und Beratung von Interessierten, Austausch und fachliche Weiterentwicklung von Initiativen und Projekten sowie die strategische Weiterentwicklung des Themas werden seitdem systematisch bearbeitet. Trotz dieser finanziellen Förderung agiert der Verein unabhängig als Lobbyverband der Wohnprojekte und -initiativen, der politische Akzente setzt und Forderungen der Mitglieder in Stadtverwaltung und -politik trägt.
Als zivilgesellschaftlicher Partner der Stadt Frankfurt agiert das Netzwerk stark kooperativ und im engen Austausch mit der Stabsstelle »Innovative Wohnprojekte« des Amts für Wohnungswesen und auch direkt mit dem Dezernat Planen, Wohnen und Sport. Diese direkte Verbindung – räumlich und im Arbeitsalltag – ist ein entscheidender Aspekt, um zu verstehen, wie das Thema in Frankfurt bearbeitet wird.
BAUSTEINE FÜR GEMEINSCHAFTLICHES WOHNEN IN FRANKFURT AM MAIN
Neben dem Netzwerk, das als zivilgesellschaftlicher Akteur auch fürs Beraten, Begleiten und Unterstützen von Wohnprojekt-Gruppen zuständig ist, wurden in den letzten Jahren weitere Bausteine entwickelt, die das Thema voranbringen und strukturell verankern.
Ausschlaggebend war hier ein Blick in andere Städte: Basierend auf einer Studie des »FORUM Gemeinschaftliches Wohnen«, in der erste Konzeptverfahren in der Bundesrepublik untersucht wurden, entwickelte das Amt für Wohnungswesen mit dem Netzwerk das Frankfurter Konzeptverfahren. 2014 konnte dieses Verfahren unter veränderten politischen Rahmenbedingungen beschlossen werden. Damit einher ging die Auflage eines revolvierenden Liegenschaftsfonds zum Ankauf mindergenutzter Flächen. Seitdem arbeiten städtische Mitarbeitende, Vertreter:innen der »Konversions-Grundstücksgesellschaft mbH« (KEG) als Tochtergesellschaft der Stadt und das Netzwerk in einem Arbeitskreis Liegenschaftsfonds ständig daran, geeignete Flächen fürs gemeinschaftliche Wohnen zu finden und anzukaufen.
FRANKFURTER KONZEPTVERFAHREN – NIEDRIGSCHWELLIG UND MIT FOKUS AUF GEMEINSCHAFTSEIGENTUM UND FESTPREIS
Das Frankfurter Konzeptverfahren wurde speziell für selbstorganisiertes, gemeinschaftliches und genossenschaftliches Wohnen entwickelt. Es garantiert die gezielte Umsetzung stadtentwicklungspolitischer Ziele und verhindert den ungebremsten Preiswettbewerb, der steigende Kauf- und Mietpreise zur Folge hat. Qualitative und transparente Regeln und Kriterien sind die Basis der Vergabe von Liegenschaften an Gemeinschaftsprojekte. Eigentumsgemeinschaften sind in Frankfurt explizit ausgeschlossen. Stattdessen können sich genossenschaftliche Projekte oder Hausprojekte des Mietshäuser Syndikats beteiligen, da diese Rechtsformen garantieren, dass Wohnraum dauerhaft dem Markt entzogen und vor Spekulation geschützt wird.
DAS NETZWERK HAT SICH EINE BERATENDE POSITION ALS EXPERTIN IM THEMA ERSTRITTEN.
Die Wohninitiativen bewerben sich mit einem inhaltlichen Konzept, das schriftlich eingereicht wird. Die eingereichten Bewerbungen werden geprüft und bewertet nach vorab festgelegten Kriterien: Plausibilität, soziale Aspekte, Einfluss des Wohnprojektes auf das Quartier, beständige Wohnkosten, Innovationsgehalt, Umsetzungsreife, Finanzierbarkeit und Kooperationspartner:innen. Die vielversprechendsten Konzepte werden ausgewählt und zu einer persönlichen Vorstellung vor einem Beirat eingeladen. Besetzt ist dieser mit Vertreter:innen der Stadtpolitik, den beteiligten Ämtern sowie externen Expert:innen. Außerdem hat sich das Netzwerk eine beratende Position als Expertin im Thema erstritten.
Nach dem Zuschlag startet die sogenannte „Anhandgabephase“: Zwischen der ausgewählten Wohninitiative und der Stadt Frankfurt wird ein Vorvertrag geschlossen, der in der Regel eine einjährige Anhandgabe vorsieht. Diese Zeit soll die Gruppe nutzen, um zu wachsen, die Finanzierung und architektonische Gestaltung zu klären sowie eine Baugenehmigung zu erhalten, um nach dem Jahr den Kauf- oder Erbpachtvertrag abzuschließen. In dieser Zeit – und häufig auch darüber hinaus – unterstützt das Netzwerk zusammen mit dem Amt für Wohnungswesen die Projekte in allen Bereichen der Umsetzung. Die Praxis zeigt, dass ein Jahr in dieser Phase zu knapp bemessen ist – schwierige Grundstücke, langwierige Absprachen mit unterschiedlichen städtischen Ämtern und eine Unzahl unvorhergesehener Herausforderungen tragen dazu bei, dass sich diese Phase mehrere Jahre ziehen kann.
Die ersten Frankfurter Konzeptverfahren starteten im Februar 2016 mit der Ausschreibung zweier Liegenschaften in der Nähe des Hauptbahnhofs. Im August erfolgte die erste Vergabe an die Gruppe »NiKa«, die inzwischen mit 42 Personen in einem umgebauten Bürohaus unter dem Dach des Mietshäuser Syndikats lebt. »NiKa« hat sinnbildlich viele der Aspekte aufgegriffen und umgesetzt, die von Gruppen im Konzeptverfahren erwartet werden. Im Erdgeschoss des Gebäudes haben Initiativen ein Zuhause gefunden, die soziale Beratungen anbieten, sich politisch austauschen und vernetzen sowie Veranstaltungen und Ausstellungen organisieren und so ins Quartier hineinwirken. Einer der Grundsätze des Projekts ist es, möglichst vielen Menschen möglichst günstigen Wohnraum in der Frankfurter Innenstadt anzubieten. Daher wurden die Wohnungen als Wohngemeinschaften mit kleinen Zimmern und weitestgehend standardisiert konzipiert. Zudem gilt, dass pro Kopf nur ein Zimmer bewohnt werden darf und die Miete nach den Einkommen gestaffelt wird. Statt großer Privatflächen stehen den Bewohner:innen Gemeinschaftsräume zur Verfügung, die von allen genutzt werden können: Gemeinschaftsraum mit Küche im obersten Stockwerk, Dachterrasse und Sauna. An den schönsten Orten im Haus lebt die Gemeinschaft!
Die Vorgaben des Konzeptverfahrens gehen aber auch mit dauerhaften Herausforderungen einher: Der Anspruch, das Erdgeschoss öffentlichkeitswirksam und nicht kommerziell zu nutzen, gibt Projekten wenig Spielraum diese Flächen auch nur kostendeckend zu betreiben.
Ein Blick in andere Städte unterstreicht die Bedeutung des Netzwerks für das Konzeptverfahren. Ohne einen zivilgesellschaftlichen Akteur als Anlaufstelle, der Gruppen informiert, berät und begleitet, funktioniert dieses Instrument der Stadtentwicklung nicht.
BAULANDBESCHLUSS: SOLL-BESCHLUSS MIT WENIG WIRKUNG?
Zu den bestehenden Bausteinen zur Förderung von gemeinschaftlichem Wohnen kam 2020 der Baulandbeschluss hinzu, der – neben den Quoten für geförderten Wohnungsbau – auch eine 15-Prozent-Quote für gemeinschaftliches Wohnen in Neubaugebieten vorsieht (ein erster Vorläufer 2006 scheiterte damals am fehlenden politischen Willen). Der Beschluss hat bundesweit für Aufsehen gesorgt und bei den Frankfurter Wohninitiativen viel Hoffnung geweckt. Doch bisher hält sich die Wirkung für das gemeinschaftliche Wohnen in Grenzen. Einerseits ist es ein reiner Soll-Beschluss: vor allem große Investor:innen versuchen weiterhin, die festgeschriebenen Quoten hinter verschlossenen Türen zu verhandeln. Die 15-Prozent-Quote für gemeinschaftliches Wohnen wird hier als erstes angegriffen, offiziell mit der Begründung, das Thema sei „neu“ und mit vielen Fragezeichen verbunden. Wohl aber auch, weil hier Wohnraum dauerhaft dem Markt entzogen wird und nicht – wie im Sozialen Wohnungsbau, gemäß dem Prinzip der „sozialen Zwischennutzung“, nach etwa 30 Jahren aus der Bindung fällt. Begründet mit der aktuellen Zurückhaltung der üblichen Wohnraumproduzenten und dem weiterhin fehlenden Wohnraum forderte die CDU im Herbst 2022, den Beschluss auszusetzen. Dies wurde von den Regierungsparteien der Stadt (Grüne, SPD, FDP und Volt) zunächst abgewendet.
IN FRANKFURT HAT ÜBER DIE HÄLFTE DER BEVÖLKERUNG ANRECHT AUF GEFÖRDERTEN WOHNRAUM.
Das zeigt, dass ein Beschluss in der Stadtverordnung zwar wichtig ist, aber bei weitem nicht genügt. Er muss von allen Akteuren gelebt und immer wieder gegen Angriffe verteidigt werden. Und tatsächlich geht er noch nicht weit genug. In Frankfurt hat über die Hälfte der Bevölkerung Anrecht auf geförderten Wohnraum und Initiativen, die gemeinschaftliches Wohnen verwirklichen möchten, lösen sich teilweise nach vielen Jahren der verzweifelten Suche nach Flächen wieder auf. Diesen Herausforderungen wird der Baulandbeschluss bislang nicht gerecht.
KRISEN, NEUE HÜRDEN UND AKTUELLE PERSPEKTIVEN
Zugangsmöglichkeiten wurden verbessert, Möglichkeiten zur Unterstützung geschaffen und es ist mittlerweile politisch wenig umstritten, dass gemeinschaftliche Wohnprojekte einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung leisten. Trotzdem bleiben Planungs- und Bauprozesse zeitintensiv und mitunter nervenaufreibend. Die gravierenden Entwicklungen im letzten Jahr – Kostensteigerungen, Fachkräftemangel, Lieferengpässe, Zinswende – treffen gemeinschaftliche Wohnprojekte besonders hart. Und genau deshalb muss diese Säule der Wohnungsraumversorgung – die gemeinwohlorientierten Akteure – besonders gefördert werden. Sie sind am Markt strukturell benachteiligt, basieren auf kleinen ehrenamtlichen Netzwerken und haben keine Rücklagen oder Puffer, weil sie immer direkt an der Kostengrenze planen. Es braucht noch weitere strukturelle und finanzielle Unterstützung, sonst helfen auch Arbeitskreise, Quoten und Infoveranstaltungen nicht weiter. Nur so kann es viele bunte Farbkleckse in den von Investor:innen geprägten grauen Städten geben!
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AUTOR:INNEN
Mario Como und Sara Schmitt Pacifico sind beim Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen als stellvertretende Leitung der Koordinations- und Beratungsstelle angestellt. Außerdem hat Mario Como das Hausprojekt Nika mit aufgebaut und lebt seitdem dort. Ein Beitrag von Larisa Tsvetkova.
Dieser Text erschien zuerst Januar 2023 in der Común #7. Die gesamte Ausgabe ist hier digital abrufbar.
Im Kontext der steigenden Baukosten und Zinsen, der Lieferkettenprobleme und des Ressourcenmangels warnt die Immobilienbranche vor einem „Neubaueinbruch“ und verfehlten „Bauzielen“. Gleichzeitig versprechen Politik und Bauwirtschaft Jahr für Jahr eine Entlastung des Wohnungsmarktes durch „Bauziele“ und halten ihr Versprechen nicht: Zahlreiche Neubauten sind entstanden, die entlastende Wirkung lässt allerdings auf sich warten. Doch ist eine neubauzentrierte Politik überhaupt noch zeitgemäß? Die zunehmende Kommerzialisierung der Städte und der Klimanotstand verlangen einen Umgang mit Grund und Boden als begrenztem Gut und mit baulichem Bestand als Speicher der grauen Energie.
Abseits von Bauzielen und Spekulationsinteressen wurden in den vergangenen Jahren bundesweit vielfältige Wohnprojekte realisiert. Wo sich eine Entwicklung für Investor:innen nicht lohnt, gestalten gemeinschaftliche Initiativen ihre Wohn-, Arbeits- und Gemeinschaftsräume zur Selbstnutzung und schaffen einen Mehrwert für ihre Nachbarschaften. Da Wohnprojekte anders als Investor:innen agieren, brauchen sie allerdings auch andere Rahmenbedingungen. Immer mehr Städte unterstützen Wohnprojekte, um ihre stadtpolitischen Ziele zu erreichen. Die prominentesten Beispiele sind Hamburg, Tübingen, Frankfurt am Main, München und auch Leipzig. Im bundesweiten Vergleich verfügt Leipzig über einen besonderen Erfahrungsschatz mit Schwerpunkt auf Bauen im Bestand: Die Kooperation der Leipziger Wohnprojekte-Szene mit der Stadt zeigt eindrucksvoll, welche Wirkung die zivilgesellschaftlichen Initiativen mithilfe kommunaler Instrumente erzeugen können.
TRADITION DER SELBSTORGANISATION IM BESTAND
Die Leipziger Wohnprojekte-Szene wurzelt in Hausbesetzungen der 1990er Jahre, die im Kontext enormer Leerstände und dem Bevölkerungsrückgang um rund ein Fünftel entstanden sind (vgl. Wendt 2018, S. 155, 168ff). Der Leipziger Bewegung gelang dabei eine frühzeitige Kooperation mit städtischer Seite: So erinnert die Webseite der »Alternativen Wohngenossenschaft Connewitz« an die überraschend erfolgreichen Verhandlungen der »Connewitzer Alternative e.V.« mit der kommunalen »Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft«, die Anfang 1990er Jahre zum Abrissstopp von mehreren Häusern und ihrer Sicherung durch Nutzungsrechte, Erbbaurechtsverträge und Förderprogramme führten.
Die günstigen Immobilienpreise, eine dialogbereite Kommune und der kreative Umgang mit massiven Leerständen bildeten in den 1990er bis 2000er Jahren einen fruchtbaren Boden für vielfältige selbstorganisierte Strukturen, wie beispielsweise die Vereine »HausHalten«, »Haus- und WagenRat« und »Selbstnutzer Leipzig« sowie die »Alternative Wohngenossenschaft Connewitz«. Diese und weitere Initiativen entwickelten Beratungsangebote und gaben ihre Erfahrungen ehrenamtlich weiter. Zwischen 2001 und 2016 wurden so rund 150 Wohnprojekte in Leipzig in Bestandshäusern realisiert, darunter Altbausanierungen im Gemeinschaftseigentum und in Eigentümergemeinschaften sowie in Mieter:innenprojekten mit dem »AusbauHaus-Modell« in Kooperation mit Hauseigentümer:innen (vgl. Gerhardt / Schaaf 2017, S. 23).
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SPÄTESTENS ALS DIE „AUSBAUHÄUSER“ UND „WÄCHTERHÄUSER“ BUNDESWEIT SCHLAGZEILEN MACHTEN, STAND LEIPZIG NICHT MEHR FÜR SCHRUMPFUNG UND LEERSTAND, SONDERN FÜR KREATIVITÄT UND MÖGLICHKEITSRÄUME – DIE SOGENANNTE „LEIPZIGER FREIHEIT“.
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WOHNUNGSPOLITISCHES KONZEPT ALS GRUNDLAGE
Spätestens als die „Ausbauhäuser“ und „Wächterhäuser“ bundesweit Schlagzeilen machten, stand Leipzig nicht mehr für Schrumpfung und Leerstand, sondern für Kreativität und Möglichkeitsräume – die sogenannte „Leipziger Freiheit“. Gleichzeitig erschwerten sich die Rahmenbedingungen für Wohnprojekte im Laufe der Zeit: Mit zunehmendem Zuzug und schrumpfenden Leerständen nahm die Steigerung der Immobilien- und Mietpreise in den 2010er Jahren Fahrt auf, so dass Wohnprojekte erstmalig mit wachsendem Marktdruck und Konkurrenzsituationen konfrontiert wurden (vgl. Wendt 2018, S. 163f).
Vor dem Hintergrund der städtebaulichen und demographischen Veränderungen der 2010er Jahre nahm die Stadt Leipzig eine Bearbeitung ihrer wohnungspolitischen Ziele vor und wurde dabei durch kritische Beiträge der Wohnprojekte-Szene begleitet. Die Verabschiedung eines wohnungspolitischen Konzepts 2015 schaffte die Grundlage für die Förderung von Beratungsangeboten, die Etablierung der Konzeptvergabeverfahren in Verbindung mit Erbbaurecht sowie die Entstehung des »Netzwerks Leipziger Freiheit« mit einer kommunal finanzierten Koordinierungsstelle. Die Koordinierungsstelle erhielt den Auftrag, die Erfahrungen und Kompetenzen der vielfältigen Akteur:innen der Wohnprojekte-Szene zu bündeln und sie mithilfe kommunaler Förderung für die verschiedenen Projektgruppen und Neugründungen zugänglich zu machen.
KOORDINIERUNGSSTELLE UND KONZEPTVERGABEVERFAHREN
Nach der Gründung der Koordinierungsstelle unter Trägerschaft des Leipziger Planungsbüros »|u|m|s| STADTSTRATEGIEN« wurde das »Netzwerk Leipziger Freiheit« etabliert und ausgebaut: Es entstand ein informeller Kreis verschiedener Netzwerkpartner*innen, deren gemeinsame Aktivitäten durch die Koordinierungsstelle organisatorisch unterstützt wurden und werden. Die Zielgruppe des Netzwerks umfasst unterschiedliche Wohnformen – von Projekten des Mietshäuser Syndikats und selbstverwalteten Mietshäusern über Genossenschaften bis zu Eigentümer:innengemeinschaften. Zu den Netzwerkpartner:innen gehören selbstorganisierte Vereine und Genossenschaften, das Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung sowie Träger der Eigentümerberatungen und des Quartiers- und Stadtumbaumanagements. Die Themen und Aufgaben der Koordinierungsstelle sind breit: Sie agiert als Anlaufstelle für vielfältige Akteur:innen, als Bindeglied zwischen Netzwerkpartner*innen sowie als Vermittlerin zwischen Wohnprojekten, Verwaltung, Politik, Öffentlichkeit und Wirtschaft.
Außerdem begleitet die Koordinierungsstelle die Vergabe der städtischen Grundstücke und Immobilien an Wohnprojekte im Konzeptverfahren, das sich in Leipzig als ein kommunales Instrument zur Unterstützung der Wohnprojekte etabliert hat. Die Koordinierungsstelle hat die Entwicklung des Instruments begleitet und auf der Webseite des »Netzwerks Leipziger Freiheit« dokumentiert. Die Pilotverfahren für einzelne Grundstücke führte die Stadt in Kooperation mit der städtischen Gesellschaft LESG und dem kommunalen Wohnungsunternehmen (LWB) durch. Aufbauend auf den Erfahrungen der ersten Verfahren schrieben 2021 und 2022 die Stadt Leipzig und die LWB mehrere Baulücken und Bestandsimmobilien zur Konzeptvergabe in Erbbaurecht aus.
BERATUNGSANGEBOTE FÜR VERSCHIEDENE PROJEKTPHASEN
Die verschiedenen Beratungsangebote reichen vom unverbindlichen Austausch bis zur fachlichen Unterstützung der Umsetzung: Projektgründer:innen und -interessierte können sich bei der monatlichen offenen Projektberatung zu allgemeinen Themen und laufenden Verfahren informieren. Während der Phasen der Ideenfindung, Planung und Umsetzung bietet das Netzwerk Wohnprojekten drei weitere Beratungsangebote an. So erhalten Gruppen in der Findungsphase eine „Orientierungsberatung“ bei der Koordinierungsstelle und werden danach an die passenden Berater:innen vermittelt. Je nach Projekttyp und Rechtsform finden die Gruppen passende Expert:innen aus dem Berater:innenpool für die kostenlose, kommunalfinanzierte „Konzeptberatung“. Im Umsetzungsprozess können Wohnprojekte nach Bedarf eine „Fachberatung“ bei erfahrenen Netzwerkparter:innen erhalten.
EIN DACH FÜR MIETER:INNEN, DIE BLEIBEN
Die „Konzeptberatung“ richtet sich nicht nur an neugegründete Wohnprojektgruppen, sondern auch an Mieter:innen, die ihr Haus in Selbstverwaltung übernehmen möchten. Dabei können Mieter:innengemeinschaften unter dem Dach der »SoWo Leipzig eG« (Solidarische Wohngenossenschaft) eine unterstützende Trägerstruktur finden. In ihren Jahresrundbriefen erzählt die Dachgenossenschaft eine beeindruckende Geschichte von der Gründung 2017, der Übernahme der ersten Häuser 2018 und den vielen Anfragen der Mieter:innengemeinschaften in den Folgejahren: Eine besondere Leistung der »SoWo« sind die komplexen Verhandlungen, die nicht selten mitten im Entmietungsprozess beginnen und zwei verschiedene Welten an einem Tisch zusammenbringen. Gegenüber den profitorientierten Unternehmen und ihren Markler*innen tritt die »SoWo« als eine solidarische und basisdemokratische Struktur auf. Ihr Gegenentwurf zur Entmietung und zum Verkauf zum Höchstpreis ist die Übernahme der Häuser in Selbstverwaltung auf Basis einer Kostenmiete, finanziell getragen durch Anteile der Mitglieder, private Nachrangdarlehen und Bankkredite. Bislang sind sieben Hausprojekte unter dem Dach der SoWo organisiert.
LERNEFFEKTE AUS LEIPZIG
Am Beispiel der Leipziger Wohnprojekte werden Potentiale der nicht-spekulativen Immobilienentwicklung im Bestand sichtbar. Die Vielfalt der Projekte und Rechtsformen reicht vom basisdemokratischen Gemeinschaftseigentum über genossenschaftliche Projekte bis zu Selbstnutzerhäusern im individuellen Eigentum. Diese Vielfalt an Wohnprojekten verändert nicht nur den Immobilienbestand und seine Eigentumsstrukturen. Sie nimmt auch Einfluss auf die stadtpolitischen Strategien, indem sie Positionen formuliert und eigene Alternativen zur spekulativen Immobilienentwicklung in der Praxis aufzeigt. So führen die Leipziger Wohnprojekte vor Augen, dass Bestandsentwicklung viel mehr sein kann als Abriss, Luxussanierung oder Verkauf und dass eine gemeinwohlorientierte Transformation von bestehenden Immobilien möglich ist.
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Über die Autorin
Larisa Tsvetkova ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Städtebau und Entwurfsmethodik der TU Braunschweig und Vorstandsmitglied beim »Netzwerk Immovielien«. Am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt der TU Braunschweig promoviert sie zum Thema Kooperationen zwischen Kommunen und selbstorganisierten Wohnprojekten anhand der Fallbeispiele Tübingen, Hamburg und Leipzig.
WEITERLESEN
LaFond, Michael / Tsvetkova, Larisa / id22: Institut für Kreative Nachhaltigkeit (Hrsg.) (2017): CoHousing Inclusive: selbstorganisiertes, gemeinschaftliches Wohnen für alle. Berlin: Jovis Verlag. E-Book.
Vereinigung für Stadt-, Regional-. und Landesplanung (SRL) e.V. (Hrsg.) (2022): Die andere Immobilie – Raumnutzungen für zivilgesellschaftliche Stadtprojekte. Planerin Heft 1_22.
MATERIALIEN
Gerhardt, Jens / Schaaf, Jan (2017): Das Netzwerk Leipziger Freiheit. In: Bezahlbares Wohnen. Leitbilder, Trägermodelle, Förderinstrumente, hg. von Vereinigung für Stadt-, Regional-. und Landesplanung (SRL) e.V., 23–26. Planerin Heft 1/17.
urban management systems GmbH und Stadt Leipzig:Netzwerk Leipziger Freiheit – Initiative für kooperatives und bezahlbares Wohnen der Stadt Leipzig.
Wendt, Matthias (2018): „Weil es nur zusammen geht“: Commons-basierte Selbstorganisation in der Leipziger Hausprojekteszene. Interdisziplinäre Stadtforschung Band 23. Frankfurt: Campus Verlag Was ist die Coforschung?
Die Coforschung ist eine Gemeinschaftsinitiative von Akteur*innen aus Utopiastadt, dem transzent (Zentrum für Transformationsforschung und Nachhaltigkeit, Uni Wuppertal), dem Wuppertal Institut und dem Netzwerk Immovielien. Ziel ist es, Transformations- und transformativer Forschung* zu allen relevanten Themen der gemeinwohlorientierten, nachhaltigen und experimentellen Quartier-, Stadt- und Gesellschaftsentwicklung eine lebendige, inter- und transdisziplinäre* Austauschplattform, gesellschaftliche Bühne und den Wechsel von Perspektiven zu bieten. Dazu entwickelt ein Orga-Kreis aus Menschen der genannten Institutionen vier Formate bzw. Bausteine:
Coforschung:Kolloquium – die monatliche hybride Präsentations- und Diskussionplattform
Coforschung:Symposium – die unregelmäßige große Bühne für den transdisziplinären Dialog
Coforschung:Datenbank – eine Sammlung publizierter Arbeiten und offenen Daten
Coforschung:Publikationen & Projekte – Produkte und Projekte die aus dem Netzwerk selbst geschaffen werden
Details zu den Formaten finden sich weiter unten.
Hintergrund und Entstehung
In Utopiastadt und anderen Wandel-Initiativen wird – zusammen mit vielen anderen Akteur*innen – praktisch und philosophisch an einer kulturkreativen, gemeinwohlorientierten und nachhaltigen Quartier-, Stadt- und Gesellschaftsentwicklung gebastelt. Eine Wegbegleiterin dieser Aktivitäten ist „die Wissenschaft“ – Lehrstühle, Hochschulen, universitäre Zentren oder freie Forschungsinstitute wie im Fall der Wuppertaler Utopiastadt das transzent (Zentrum für Transformationsforschung und Nachhaltigkeit der Universität Wuppertal) und das Wuppertal Institut. Gemeinsam wurden und werden geförderte Forschungs- und Umsetzungsprojekte bearbeitet und ein inter- und transdisziplinäres Miteinander kultiviert. In Wuppertal führte dies unter dem Begriff der Coforschung seit 2016 zur Einrichtung regelmäßiger Austauschformate mit der Öffentlichkeit, um Forschungsprojekte zu initiieren, zu diskutieren und ihre Ergebnisse zu verbreiten.
Ähnliches geschah auf überregionaler Ebene im Netzwerk Immovielien 2019 mit der Gründung der AG Forschung zur Verbreitung und Diskussion relevanter Forschungsergebnisse aus Immovielien-Projekten bundesweit.
2022 beschlossen die beiden Kreise, fortan die Angebote und Formate zu bündeln.
Coforschung – die Formate
Alle vier Formate haben zum Ziel, forschende und praktisch umsetzende Menschen in den Austausch zu bringen, Forschungsideen gemeinsam zu entwickeln sowie gewonnene Ergebnisse über z.B. soziale, politische, bauliche, administrative, psychologische, planerische usw. Prozesse und Entwicklungen in Immovielien, Quartieren, Städten und Regionen zu verbreiten und zu diskutieren. Forschung ist zu schade für die Schublade!
Coforschung:Kolloquium
Was? Kollegiale Austauschplattform für Forschung und Praxis zu geplanten, laufenden und abgeschlossenen Forschungsarbeiten zu den o.g. Themen. Meist mit ein bis zwei vorab organisierten Impulsvorträgen und Präsentationen und natürlich mit Raum für kritisch-konstruktive Diskussion. Von nicht publizierten Arbeiten wie z.B. Seminar-, Bachelor- oder Masterarbeiten über publizierte Artikel wie z.B. aus Doktorarbeiten oder geförderten Forschungsprojekten bis hin zu freien Forschungstätigkeiten ist alles willkommen!
Für wen? Offen für alle mit Interesse an inter- und transdisziplinären Forschungsarbeiten zu Immovielien sowie Quartiers-, Stadt- und Gesellschaftstransformation
Wann? Jeden dritten Donnerstag im Monat von 10ct (10:15) bis 12:00 Uhr
Wo? Hybrid: digital als Videokonferenz unter meet.devtal.de/coforschung und live in Utopiastadt, Gruppenraum 1. OG (folge der Beschilderung zum Co-Working)
Coforschung:Symposium
Was? Bühne für die Präsentation einer (vorangeschrittenen oder abgeschlossenen) Forschungsarbeit mit „Response“ (Entgegnung, Erweiterung, Perspektivwechsel etc.) aus der Praxis und anschließender Diskussion
Für wen? Offen für alle mit Interesse an inter- und transdisziplinären Forschungsarbeiten zu Immovielien sowie Quartier-, Stadt- und Gesellschaftstransformation
Wann? unregelmäßig
Wo? Digital als Videokonferenz und wenn (technisch) möglich hybrid mit Live-Diskussion vor Ort
Coforschung:Datenbank
Was? a) Digitale Datenbank aller bislang im Rahmen der Coforschung initiierten oder vorgestellten Forschungsarbeiten, b) Sammlung von Steckbriefen zu den Forschungsarbeiten, c) Sammlung ausgewählter offener Rohdaten (Interview-Mitschnitte, Transkripte)
Für wen? a) und b) stehen allen Interessierten aus Forschung und Praxis zur Verfügung, die Dateien werden sukzessive auf den Homepages der beteiligten Organisationen zur Verfügung gestellt. Die offenen Daten unter c) werden auf Anfrage und ohne Gewähr ausgehändigt.
Wo? Die interne Datenbank liegt aktuell auf zotero, einer offenen Literaturverwaltungsdatenbank. Eine Anfrage auf Mitgliedschaft in der zotero-Gruppe kann hier gestellt werden. Die Forschungsarbeiten (Steckbrief und Volltext) werden aktuell auf quartier-mirke.de/thema/coforschung/ geteilt.
Coforschung:Publikationen & Projekte
Hier denken wir konkret und aktiv weiter, organisieren Arbeitsgruppen und/oder sammeln, produzieren bzw. veröffentlichen eigene Forschungsideen und -produkte wie z.B. gemeinsame Texte oder Förderanträge.
Kontakt & Mailinglist
Wir freuen uns über Anfragen, Ideen und mehr unter coforschung@utopiastadt.eu.
Auch wenn du über die Aktivitäten der Coforschung informiert werden willst, wende dich gerne unter dieser Email an us.
Glossar
*Interdisziplinarität
Hierunter versteht man die enge und intensive Zusammenarbeit zwischen zwei oder mehreren wissenschaftlichen Disziplinen, also z.B. der Verkehrsforschung und Politikwissenschaft.
*Transdisziplinarität (TD)
Die transdisziplinäre Forschung bindet aktiv Akteure außerhalb der Wissenschaft in Prozesse der Wissensgenerierung und -anwendung mit ein. Zentrale Eckpfeiler der TD sind die Entwicklung einer (wissenschaftlichen) Fragestellung zusammen mit Praxisakteuren, das Einbeziehen von Erfahrungs- und Praxiswissen in den Forschungsprozess und das Erzeugen von Nutzen sowohl für die Praxis (z.B. Leitfäden, Umsetzungsagenden) als auch den wissenschaftlichen Diskurs.
*Transformationsforschung (TF)
Laut dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) versteht man unter TF Forschung, die Transformationsprozesse im Hinblick auf ihre Grundlagen, Bedingungen und ihren Verlauf untersuchten. Der Begriff wurde vor allem im Rahmen der geforderten Transformation unserer globalen Gesellschaft in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung geprägt.
*transformative Forschung (tF)
Im Gegensatz zur Transformationsforschung, die über Veränderungsprozesse forscht, begibt sich die tF stärker in eine aktive Gestaltungsrolle mithilfe der Erzeugung und Anwendung von Transformationswissen. Das bedeutet, dass mithilfe forschender Prozesse Veränderungsprozesse (in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung) aktiv vorangetrieben oder unterstützt werden. Ein typisches Format von tF sind Reallabore, (Urban) Living Labs oder auch Ansätze der Aktionsforschung. Ein Beitrag der Montag Stiftung Urbane Räume, von Stefan Anspach und Lisa Hahn.
Dieser Text erschien zuerst Mai 2022 im Immovielien-Heft 2 und wurde im Februar 2023 geringfügig aktualisiert. Das gesamte Heft ist hier digital abrufbar oder über die Koordinierungsstelle als Printversion erhältlich.
Chancen bauen, wo es zu wenige davon gibt: Das ist das Ziel der Montag Stiftung Urbane Räume. Wir wollen Orte schaffen, an denen Menschen zusammenkommen, voneinander lernen und ihre Zukunft selbst gestalten. Und insbesondere dort Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und gleichberechtigte Chancen ermöglichen, wo Unterstützung am stärksten benötigt wird.
Dafür arbeiten wir nach dem Initialkapital-Prinzip: Bereits in der Projektuntersuchung entwickeln wir zusammen mit weiteren zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gemeinwohlorientierte Nutzungskonzepte für Grundstücke und Gebäude, die dauerhaft wirtschaftlich tragfähig sind und einen Überschuss für den Stadtteil erwirken. Eine Immobilie wird dabei ein Ort der Identifikation und der Möglichkeiten – und auch der Möglichkeit, den eigenen Stadtteil zu gestalten.
Wir glauben, dass nur dort, wo zusammen nachgedacht, entschieden und angepackt wird, etwas entstehen kann, das allen zugutekommt und sich in einer stabilen Gemeinschaftsstruktur verstetigt.
Dafür gibt es keine Blaupause. Die Art der Gemeinschaftsstruktur richtet sich an den individuellen Projektkonstellationen aus und wird von Anfang an in einem offenen Diskurs über Möglichkeiten, Aufgaben und Verantwortungen gemeinsam entwickelt. Die bisherigen Projekte nach dem Initialkapital-Prinzip zeigen, dass dabei unterschiedliche Organisationsstrukturen entstehen.
Das Initialkapital-Prinzip
Sechs Projekte nach dem Initialkapital-Prinzip sind bereits auf den Weg gebracht: die Nachbarschaft Samtweberei in Krefeld, der Bürgerpark FreiFeld in Halle an der Saale, die KoFabrik in Bochum, der BOB CAMPUS in Wuppertal, das HONSWERK in Remscheid und die Wiesenwerke ebenfalls in Wuppertal. Die Projekte unterscheiden sich nach lokalen Begebenheiten deutlich, basieren aber auf wiederkehrenden Grundlagen: Wird ein möglicher Standort ins Gespräch gebracht, startet möglichst früh ein multiperspektivischer Austausch mit den Menschen vor Ort als Expert*innen für ihr Viertel und mit Vertreter*innen von Kommunen, Fachinstitutionen, Verbänden und weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen. Zusammen wird eine gemeinwohlorientierte Vision für die Immobilie und den Stadtteil erarbeitet.
Dass diese Vision den Bedürfnissen der Menschen entspricht, sich das Projekt langfristig selbstständig trägt und die Konditionen für mögliche Bestandsmieter*innen erhalten bleiben, sind dabei die entscheidenden Ziele. Der Anspruch, die Mieten und die Überschüsse für das Quartier in Balance zu halten, erfordert viele gemeinsame Abwägungen. Schließlich sollen bei meist hohen Investitionskosten Räume und Überschüsse für Quartiersarbeit entstehen, ohne dass die Mieten untragbar werden. Zu schaffen ist das nur, wenn alle sich einbringen: Eine Grundlage ist zum Beispiel der Verzicht der Grundstückseigner*innen auf Erbbauzinszahlungen, solange das Projekt gemeinnützig bleibt, um damit das Quartier zu stärken. Die Gemeinnützigkeit gewährleisten wir, indem wir eine Urbane Nachbarschaft gGmbH gründen – eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Damit stehen Ausbau und Renovierung des Gebäudes langfristig auf einer sicheren Grundlage. Die oft aufwändigen Baumaßnahmen im Gebäudebestand werden zu 30 Prozent aus Eigenkapital der Stiftungsgruppe finanziert, was nicht verzinst wird. Zusätzlich wird Fremdkapital herangezogen, das später durch Mieteinnahmen zurückgezahlt wird. Die Kommune als wichtige Kooperationspartnerin steuert Unterstützung bei, zum Beispiel in Form von Fördergeldern für die Umgestaltung des öffentlichen Raums.
Ein weiterer wichtiger Grundstein ist, dass die Urbane Nachbarschaft gGmbH lokal agiert und wirkt: Mitarbeiter*innen sind mit einem Projektbüro vor Ort und Teil der Nachbarschaft. Sie koordinieren die (Um-)Baumaßnahmen und arbeiten mit engagierten Menschen und Institutionen aus dem Stadtteil kontinuierlich am Gemeinwohlkonzept. So wird frühzeitig das Fundament für die Gemeinschaftsstruktur gelegt.
Drei Beispiele für die Verstetigung der Gemeinschaftsstruktur
In Halle-Freiimfelde wurde das FreiFeld als Nachbarschaftspark in einem ko-kreativen Prozess zwischen der Urbanen Nachbarschaft Freiimfelde, der Stadt Halle (Saale), dem gemeinnützigen Verein Freiimfelde und engagierten Bewohner*innen des Viertels Freiimfelde entwickelt. Das FreiFeld ist heute ein richtungsweisendes Beispiel für eine aktiv betriebene urbane Freifläche: Sozial fest verankert im Stadtteil, identitätsschaffend und eine aktive Ressource für Stadtentwicklung. Das FreiFeld wird von engagierten Bewohner*innen des Stadtteils genutzt und bespielt, die sich seit 2014 im Freiimfelde e.V. organisieren. Das Nutzungs- und Betriebsmodell ist so gestaltet, dass sich das Projekt selbst trägt und die erwirtschafteten Gewinne dem Gemeinwohl zugutekommen. Im Januar 2020 übergab die Montag Stiftung Urbane Räume dem Verein den Park als Schenkung. Die Montag Stiftung Urbane Räume bleibt als Ansprechpartnerin in regelmäßigem Austausch mit dem Verein.
In Krefeld wurde Anfang 2021 die NachbarschaftStiftung Samtweberviertel Krefeld gegründet. Bürger*innen setzen sich für das Samtweberviertel ein: Sie betreiben Räumlichkeiten der Samtweberei und die Shedhalle als öffentlichen Raum für das Viertel. Zudem realisieren sie eigene Projekte. Eine Kooperationsvereinbarung zwischen der NachbarschaftStiftung und der gemeinnützigen Projektgesellschaft gestaltet die Zusammenarbeit aus: Darüber werden Überschüsse aus der Vermietung zweckgebunden für Projektarbeit und eine Personalstelle zur Ehrenamtskoordination zur Verfügung gestellt sowie die kostenfreie Nutzung von Räumen und Infrastruktur für die NachbarschaftStiftung vereinbart.
Die Urbane Nachbarschaft Samtweberei gGmbH ist als Projektgesellschaft dauerhaft mit einem eigenen Team vor Ort. Dieses Team verantwortet die gemeinwohlorientierte Immobilienverwaltung und sichert so die herausfordernde Balance zwischen wirtschaftlicher Tragfähigkeit des Projekts, den Interessen der Mieterschaft und den Anforderungen aus einer gemeinwohlorientierten Nutzung der Räumlichkeiten. Die Mitarbeitenden der gGmbH übernehmen außerdem die Koordination der so genannten Viertelsstunden, ein Gemeinwohlbeitrag, zu dem sich die Gewerbemieter*innen bei Einzug verpflichten. Darüber hinaus werden aus der gGmbH eigene Projekte realisiert. Dazu gehört auch das Management der Viertelsstunden.
In Bochum wurde 2021 der gemeinnützige Verein Quartiershalle in der KoFabrik e.V. gegründet. Er basiert auf einem Zusammenschluss Interessierter aus der Mieter*innenschaft der KoFabrik. Die Programmierung und das Nutzungskonzept für die Quartiershalle wurden in mehreren Planungswerkstätten und Quartiershallen-Stammtischen gemeinsam erarbeitet. Entstanden sind Räume, die durch eine offene Gestaltung zum stetigen Verändern, Umnutzen und Aneignen einladen. Die Bespielung und Nutzung der Halle und auch des davorliegenden Quartiersgartens am Imbuschplatz erfolgen durch den gemeinnützigen Verein. Die Aktivitäten des gemeinnützigen Vereins werden aus Überschüssen aus der Vermietung des gesamten Gebäudes unterstützt – auf Basis einer Kooperationsvereinbarung. Das Team der gGmbH leistet außerdem die gemeinwohlorientierte Immobilienverwaltung.
Ausblick
So weit zu drei Beispielen, die alle unterschiedliche organisatorische Wege gegangen sind. Gemeinsam ist ihnen, dass eine Organisationsstruktur, zum Beispiel ein gemeinnütziger Verein oder eine Stiftung vorhanden ist, mit denen die lokale gGmbH Kooperationen eingeht und an die sie Zuwendungen leistet. Mit unseren Projekten nach dem Initialkapital-Prinzip wollen wir auch künftig weitere und neue Wege der gemeinwohlorientierten Immobilien-Nutzung und -Verwaltung gehen, um Stadtteil-Orte zu schaffen, die Menschen gemeinschaftlich entwickeln und die den Menschen vor Ort mehr Teilhabe ermöglichen.
Mehr zu den Projekten nach dem Initialkapital-Prinzip ist im Werkbericht 2021 der Montag Stiftung Urbane Räume zu lesen.
Das Immovielien-Heft 2:Hier online abrufbar oder als Printversion auf Anfrage (kontakt@netzwerk-immovielien.de). Ein Beitrag von Jördis Binroth.
Dieser Text erschien zuerst Mai 2022 im Immovielien-Heft 2. Das gesamte Heft ist hier digital abrufbar oder über die Koordinierungsstelle als Printversion erhältlich.
Mit der nestbau AG hat sich 2010 ein kleiner Kreis um Gründungsvorstand Gunnar Laufer-Stark aufgemacht, Neuland im Bereich der Wohnungswirtschaft zu betreten. Wie kann man (Immobilien-)Wirtschaft als Unternehmen anders denken und die Instrumente des Wirtschaftssystems nutzen, aber statt nur sich selbst auch andere bereichern? Jördis Binroth von der nestbau AG berichtet über das Konzept der gemeinwohlorientierten Aktiengesellschaft und die Symbiose aus immobilienwirtschaftlicher Herangehensweise und der Implementierung von Immovielien-Ansätzen.
Eine Rechtsform subversiv genutzt
Die nestbau AG ist eine gemeinwohlorientierte Bürger-Aktiengesellschaft für Wohnungsbau. Gemeinwohlorientiert UND Bürger- UND Aktiengesellschaft – wie kann denn das zusammenpassen?
Es passt, denn eine AG ist – entgegen der Annahme vieler – nicht dazu verpflichtet, renditemaximierend zu wirtschaften. Die Aktiengesellschaft eignet sich aber sehr gut, um die wirtschaftliche Kraft von Klein- und Kleinstinvestor*innen zweckbezogen zu bündeln. Mit unserem Denkansatz kann man das Beste aus der klassischen Geldanlage und dem Gemeinschaftssinn der Genossenschaft verbinden, indem wir die Stimmen nicht nur nach der Höhe der Einlage gewichten. Auch geht es in der Unternehmensführung nicht um den Gewinn des einzelnen, z. B. der Vorstände, sondern um den Gewinn für das Quartier.
Darum unterscheidet sich die Satzung der nestbau AG von der der meisten anderen Aktienunternehmen durch einige elementare Punkte:
1 Gegenstand des Unternehmens
Als Ziel des Unternehmens sind Projektierung, Bau und Vermietung von Immobilien festgelegt, allerdings unter Auflagen: Gebäude der nestbau AG müssen „möglichst wertbeständig errichtet werden und einer sozial und ökologischen zuträglichen Stadtentwicklung dienen;“ (Seite 2 §2 (1), Satzung der nestbau AG). Weiterhin ist bei der Vermietung und Verwaltung von Immobilien der Erhalt einer Immobilie gleichwertig mit dem Erzielen einer „maßvollen Rendite“ (ebenda) zu sehen und muss mit Blick auf „soziale, ökologische und städtebauliche Belange“ vonstattengehen. Da dieser Unternehmenszweck in der Satzung verankert ist, ist er bindend bei allen Firmenentscheidungen zu berücksichtigen.
2 Verteilung des Stimmrechts
Laut Satzung darf jede Aktionärin und jeder Aktionär maximal 5% des Stimmrechts auf sich vereinen – unabhängig von der Einlagesumme (Seite 11 §21 (3), Satzung der nestbau AG). Um Teile der Satzung, wie zum Beispiel das Firmenziel zu ändern, bedarf es einer Mehrheit von 75% aller Aktionär*innen, die bei der Abstimmung darüber anwesend oder per Vollmacht auf der Hauptversammlung vertreten sind. So wird durch die Stimmrechtsbegrenzung gewährleistet, dass Entscheidungen auf der Hauptversammlung dem Willen der Mehrheit der teilnehmenden Bürger*innen entsprechen und nicht von der Mehrheit des Kapitals diktiert werden.
Die rund 500 – ganz überwiegend selbst gemeinwohlorientierten – Aktionär*innen [Stand: Februar 2023] stellen damit sicher, dass keine grundlegende Änderung der Unternehmens-Philosophie beschlossen werden wird.
3 Verdienstgefälle
Die Bezüge eines Vorstandes dürfen maximal das Dreifache des niedrigsten Lohnes im Vollzeitäquivalent betragen (Seite 5 §8 (4), Satzung der nestbau AG). Mit dieser Klausel beugen wir einem zu hohen Lohngefälle vor. Und: Eine Person, die sich von einer Vorstands-Stelle eine persönliche Geldquelle erhofft (und vielleicht auch sonst die soziale Grundausrichtung der AG nicht teilt) wird unter diesen Bedingungen eher kein Interesse an der Arbeit in der nestbau AG haben.
Immobilien als Lebensraum begreifen
Die private Immobilienbranche mit ihrem Renditefokus diskriminiert leider häufig und gelegentlich vielleicht sogar unbewusst. Das zeigt sich in mehr oder weniger subtilen Entscheidungen, wie einer geringeren Ausstattungsqualität von Sozialwohnungen, dem Ablehnen oder Aufschieben von Reparaturen und mangelnder Transparenz in den Nebenkosten. Auch in der Frage der Bereitstellung oder Sanierung von Gemeinschaftsflächen werden oft Investitionen gescheut, besonders in Vierteln mit geringerem Durchschnittseinkommen der Bewohner*innen.
Viele Vermieter*innen (auch Privatpersonen) sind buchstäblich „weit weg“ und sehen ihre Mieter*innen als Zahlen und ihre Häuser als Profitmaschine. So fällt es leicht, die Wohnumstände und die implizite Wertung, was als Lebensstandard ausreichen muss, zu ignorieren.
Wir treten für ein Umdenken in der Gesellschaft ein und handeln auch entsprechend. Wir achten in unseren Häusern nicht nur auf gute Bestandspflege und einheitliche Qualität in der Wohnungsausstattung, sondern haben es bisher immer geschafft, eine gute Durchmischung unserer Bewohner*innen zu erzielen. Das betrifft nicht nur das Einkommen, sondern auch kulturelle Diversität und die Integration von Menschen mit Einschränkungen in die Hausgemeinschaft.
Weiterdenken und noch weiterplanen
Das Bauen von Häusern ist immer eine Tätigkeit, die weit in die Zukunft vorgreift. Einmal versiegelter Boden bleibt versiegelt. Baustoffe überdauern immense Zeitspannen – ob genutzt oder ungenutzt spielt dabei keine Rolle. Unsere Planung heute entscheidet, ob die Ressourcen auch morgen und übermorgen noch sinnvoll gebunden sind und gut genutzt werden können. Unsere Planung heute muss auch im Blick haben, dass Bautätigkeiten und die Nutzung von Gebäuden (noch) auf endliche Ressourcen zugreifen.
Im Bereich Ressourcen hat mittlerweile ein Umdenken begonnen. Holzbauten entstehen allerorten und senken so langfristig die rohstoffbedingten Emissionen im Baugewerbe. Allerdings schlagen ökologische Baustoffe auf die Baukosten. Daher kann die Wahl der Baustoffe nur eine Komponente einer Bauwende sein.
Darüber hinaus gilt es auch, eine bestmögliche Nutzung der Flächen zu erzielen. Klug konzipierte Grundrisse, die viel Flexibilität für später möglicherweise geänderte Nutzungskonzepte lassen, sind ein entscheidender Schritt, weniger Ressourcen zu verbrauchen. Erst wenn Umbauten in einem Haus weniger kosten als es abzureißen und neu zu bauen, ist die Baubranche in einer nachhaltigen Bauplanung angekommen.
Die planerische Flexibilität der Grundrisse wird immer wichtiger. Es geht nicht nur um mögliche Nachnutzungen, sondern auch um neue Wohnkonzepte und Flächenplanung. Der Wohnflächenverbrauch pro Kopf steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich und vor allem proportional zum Alter der Wohnenden.
Wir wollen suffizient sein. Das bedeutet, weniger Verbrauch (von allem) bei gleichbleibender Lebensqualität zu erreichen. Wir glauben daran, dass gemeinschaftliche Wohnformen ein wichtigen Beitrag dazu leisten können, suffizienter zu wohnen.
Wider die kapitalistische Deutungshoheit
Als Unternehmen agieren wir in den Strukturen des Marktes und können uns nicht ganz von dessen Regeln entfernen. Wie wir diese Gegebenheiten nutzen, ist allerdings nirgends festgeschrieben. Niemand kann uns zwingen, der Maxime der Renditeoptimierung zu dienen und immer schneller, weiter und höher sein zu müssen.
Mit dem Gedanken der Gemeinwohl-Ökonomie haben wir einen Ansatz gefunden, unsere Vorstellungen mit unserer Marktumgebung in Einklang zu bringen. Vor dem Baubeginn unseres ersten nestbau-Hauses hielten potenzielle Investor*innen und vor allem Banken unsere Herangehensweise für zu idealistisch. Heute sind wir 4.000 Quadratmeter vermietbare Fläche weiter und werden häufig direkt von Kommunen oder Grundstücksbesitzer*innen für gemeinwohlorientierte Bauvorhaben angefragt. Sogar überregional. Und damit auch andere von unseren Erfahrungen profitieren können, beraten wir inzwischen auch gemeinschaftliche Wohnprojekte (und haben dazu leider mehr Anfragen als Zeit, sie zu bearbeiten). Wir werten das als Zeichen dafür, dass Transformation innerhalb der Strukturen tatsächlich funktionieren kann. Wer macht‘s? Wir und alle, die sich trauen!
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Die Website der nestbau AG bietet weitere Informationen über das Konzept der gemeinwohlorientierten Aktiengesellschaft.
Das Immovielien-Heft 2:Hier online abrufbar oder als Printversion auf Anfrage (kontakt@netzwerk-immovielien.de). Ein Interview mit Sabine Horlitz und André Sacharow.
Dieser Text erschien zuerst Mai 2022 im Immovielien-Heft 2. Das gesamte Heft ist hier digital abrufbar oder über die Koordinierungsstelle als Printversion erhältlich.
Community Land Trusts (CLT) sind ein gemeinschaftliches, nicht gewinnorientiertes Eigentumsmodell, mit dem Grund und Boden der Spekulation entzogen wird. So kann dieser dauerhaft zur Verfügung gestellt werden für günstigen Wohnraum, aber auch für andere gewerbliche, soziale oder kulturelle Nutzungen – von Nachbarschaftszentren über Gewerbehöfe bis zu Gemeinschaftsgärten. In Berlin hat sich dazu im Jahr 2021 die Stadtbodenstiftung gegründet.
Wir sprechen mit den Vorständ*innen der Stiftung.
Matthias Braun:
Lieber André, liebe Sabine, im Oktober 2021 konntet ihr in einem feierlichen Akt die Gründung als selbständig rechtsfähige und gemeinnützige Stiftung begehen. Herzlichen Glückwunsch dazu und auch herzlich Willkommen als Mitglied im Netzwerk Immovielien!
Das Prinzip einer Bodenstiftung ist erstmal nicht neu: Die Stiftung trias beispielsweise ist schon länger bundesweit in diesem Feld tätig. Was unterscheidet euren Ansatz von anderen Stiftungen?
Sabine Horlitz: Wir haben hinsichtlich der Ziele, Boden dauerhaft vom Markt zu nehmen und im Erbbaurecht an im weitesten Sinne gemeinwohlorientierte Akteure zu vergeben, viel mit den beiden bekannten Bodenstiftungen, der Stiftung trias und der Stiftung Edith Maryon gemeinsam. Beide sind – darüber freuen wir uns sehr – auch Gründungsstifterinnen der Stadtbodenstiftung. Sie sind wichtige Vorbilder sowie mögliche Kooperationspartnerinnen für uns.
Aber zu deiner Frage: Aus unserer Sicht gibt es vor allem drei Unterscheidungsmerkmale. Erstens die basisdemokratische Besetzung der Organe: Ziel ist, dass unterschiedliche Interessen in der Stiftung
vertreten sind und dass insbesondere jene eine Stimme haben, die sonst in Stadtentwicklungsfragen meist nicht mitentscheiden können. Das Kuratorium ist das zentrale Entscheidungsorgan der Stiftung. Dort sitzen unter anderem auch Vertreter*innen der Nutzer*innen und aus den jeweiligen Nachbarschaften. Es wird zudem ein Stiftungskomitee geben, das für alle an den Projekten Beteiligten, für Nachbar*innen und Stifter*innen offen ist. Dieses ist mit einer Mitgliederversammlung vergleichbar. Vorbild war uns hier das Modell des Community Land Trust. Wir übertragen dieses Modell erstmals in die hiesigen Stiftungslandschaft und begreifen uns als Teil der weltweiten CLT-Bewegung.
Zweitens der lokale Bezug: Anders als die zuvor genannten Stiftungen, die bundesweit, in Teilen sogar länderübergreifend arbeiten, ist die Stadtbodenstiftung durch einen lokalen Fokus auf Berlin und Umgebung gekennzeichnet. Wir wollen hier in Berlin aktiv sein, in der Stadt, in der wir leben und uns auskennen. Wir sehen uns eher als Vorbild für interessierte Initiativen in anderen Städten, als dass wir dort tätig sein wollen.
Und drittens schließlich die explizite vertragliche Sicherung sozialer Ziele und Bindungen: Der Bezug auf das Community Land Trust Modell beinhaltet für viele, die die Stadtbodenstiftung gegründet haben, auch den Wunsch, über die üblichen links-alternativen Kreise und die CoHousing-Szene hinaus wirksam zu werden. So haben wir beispielsweise als Ziel festgelegt, insbesondere das Recht auf Wohnen für Menschen mit erschwertem Zugang zu Wohnraum zu ermöglichen.
MB: Vor knapp drei Jahren habt ihr als Initiative begonnen, den Community Land Trust Ansatz in Berlin bekannt zu machen und Mitstreiter*innen zu gewinnen. Was waren wichtige Meilensteine und Erkenntnisse, die ihr auf dem Weg zur Gründung der Stadtbodenstiftung machen konntet?
André Sacharow: Ein ganz wesentlicher Meilenstein war es, für das CLT-Modell eine rechtliche Übersetzung und geeignete Organisationsstruktur zu finden. Wir haben in der Initiative lange darüber diskutiert, was die richtige Rechtsform ist: der Verein (als basisdemokratische Organisation), eine Genossenschaft, eine Treuhandstiftung oder eben eine rechtsfähige Stiftung. Wir haben uns für letztere entschieden, da sie die größte Absicherung gegen einen möglichen Verkauf des Bodens gibt. In Vereinen und Genossenschaften können die Mitglieder ihre eigenen Regeln und damit auch die einst beschlossene Marktferne wieder aufheben, wenn eine ausreichend große Mehrheit dies beschließt. Das geht mit einer Stiftung nicht.
SH: Schwierig war dann aber die gleichzeitige Einführung der demokratischen Elemente in das Stiftungsmodell. Wir haben lange mit der Stiftungsaufsicht verhandelt, mehrere Satzungsversionen vorgelegt, um schließlich zu einer für alle akzeptablen Struktur zu kommen. Diese nun wirklich mit Leben und sinnvollen Betätigungen zu füllen, ist eine der wesentlichen nächsten Aufgaben.
MB: Euer erstes Projekt, die Überführung des Bodens eines Kreuzberger Mietshauses in das Stiftungsvermögen, steht kurz bevor. Welche Auswirkungen hat das für die Eigentümer*innen und Mieter*innen des Gebäudes?
AS: Wir gehen dieses erste Projekt zusammen mit einer Genossenschaft an. Die Genossenschaft erhält das Gebäude im Erbbaurecht und leistet dafür eine mit einem Kauf vergleichbare Einmalzahlung an die Eigentümer*innen. Diese schenken den mit dem Erbbaurecht belasteten Boden der Stadtbodenstiftung.
Für die Eigentümer*innen war es wichtig, dass das Haus dauerhaft „in guten Händen“ ist, dass die Mieten nicht oder nur sehr wenig steigen. Das geht natürlich nur, wenn sie das Haus unter Marktwert verkaufen und auf eine Gewinnmaximierung verzichten. Dazu waren sie bereit. Die Stadtbodenstiftung agiert als eine Art Wächterin der sozialen Vermietungspraxis dieser Immobilie mit wirklich wahnsinnig günstigen Mieten, indem wir die Sozialbindungen bei Wiedervermietung dauerhaft im Erbbaurechts- vertrag und für die Genossenschaft verpflichtend verankern.
MB: Nun heißt es möglichst viele Berliner*innen und verkaufswillige, soziale Eigentümer*innen für eure Unternehmung zu begeistern. Was sind die nächsten Schritte?
SH: Wir haben noch ein zweites, ähnlich strukturiertes Projekt in Planung und hoffen, dieses bis zum Sommer umsetzen zu können. Dann hätten wir zwei vorzeigbare Beispiele, die zeigen, wie es gehen kann und agieren nicht mehr in diesem diskursiven Raum von Ideen und Behauptungen. Von diesen beiden konkreten Orten ausgehend wollen wir einerseits in die lokale Nachbarschaftsarbeit gehen und Leute für die Mitwirkung im Stiftungskomitee interessieren. Andererseits wollen wir
natürlich auch in die breitere Öffentlichkeit gehen und um Zustiftungen und Bodenschenkungen werben.
AS: Und dann gibt es Ende Oktober auch den internationalen Welt-CLT-Tag, an dem wir uns beteiligen,
eine öffentliche Veranstaltung mit Live-Schalte zu anderen CLTs planen und alle Interessierten herzlich dazu einladen.
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Weitere Informationen und die aktuellen Aktivitäten der Stadtbodenstiftung: www.stadtbodenstiftung.de
Das Immovielien-Heft 2:Hier online abrufbar oder als Printversion auf Anfrage (kontakt@netzwerk-immovielien.de). Ein Beitrag von Jörn Luft und Anno Schmalstieg.
Dieser Text erschien zuerst Mai 2022 im Immovielien-Heft 2. Das gesamte Heft ist hier digital abrufbar oder über die Koordinierungsstelle als Printversion erhältlich.
GemeinGut Stadt – Boden, Bauen und Wohnen demokratisch gestalten
Als Meilenstein der Kooperation zwischen dem Netzwerk Immovielien e.V. und dem wohnbund e.V. fand am 11. Juni 2021 die GemeinGut Stadt Konferenz als Online-Veranstaltung statt. Insgesamt 270 Teilnehmende schalteten sich aus vier Ländern pandemiekonform aus Büros und Wohnzimmern, aber auch Gärten und sogar Zugabteilen hinzu. Gemeinwohlorientierung und Zivilgesellschaft in der Stadtentwicklung eine stärkere Stimme zu verschaffen, war der Hauptfokus der Konferenz, stand doch nicht zuletzt auch die Bundestagswahl an.
Prof. Christiane Thalgott eröffnete die Konferenz mit einer Keynote-Präsentation: Was macht Stadt aus? Wie leben wir in unseren Städten heute zusammen und wie wird sich unser Zusammenleben in Zukunft angesichts globaler Herausforderungen verändern? Die Bögen, die sie von der kleinen Intervention im öffentlichen Raum bis zu den großen Fragen unserer Zeit und vom Stadtzentrum bis aufs Land spannte, begeisterten und inspirierten.
In fünf Themenforen konnten die Teilnehmenden sich austauschen und Expert*innen-Inputs aus der Wissenschaft und der Planungspraxis hören. Zwei der Themenforen standen unter dem Titel Boden ist Gemeingut! – Mehr Boden fürs Gemeinwohl in kommunaler und zivilgesellschaftlicher Hand. Im Forum mit dem Titel Stadt.demokratisch.machen wurde über die sich verändernde Rolle der Zivilgesellschaft in der Stadtentwicklung diskutiert, während die Potentiale einer neuen Wohngemeinnützigkeit im Mittelpunkt eines vierten Forums standen. Ganz im Zeichen der Enkeltauglichkeit wurde im fünften Themenforum außerdem unter dem Titel Nachhaltig bauen und wohnen: ökologisch und bezahlbar? Kein Widerspruch! über die Vereinbarkeit sozialer und ökologischer Belange beim Bauen und Umbauen diskutiert.
Im Anschluss an die Themenforen wollten wir von den geladenen Bundespolitiker*innen wissen: Welchen Widerhall finden die in den fünf Themenforen erarbeiteten Forderungen in der Politik? Chris Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Caren Lay (DIE LINKE), Klaus Mindrup (SPD) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) bezogen im sogenannten Kreuzverhör hierzu Stellung und diskutierten untereinander.
Im Nachgang zur Konferenz haben das Netzwerk Immovielien und der wohnbund e.V. aus den vielfältigen Positionen ein Abschlussstatement erarbeitet, welches die Hebel für eine zukunftsgerichtete Stadtentwick- lungspolitik in der nächsten Legislaturperiode zusammenfasst.
Außerdem wurde eine ausführliche Dokumentation erstellt, die die Diskussionen aus den verschiedenen Themenforen intensiv reflektiert und aufbereitet und die Positionen und Aussagen der Bundestagsabgeordneten aus dem Kreuzverhör darstellt.
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Aufzeichnung der Keynote von Prof. Christiane Thalgott.
Aufzeichnung des „Kreuzverhörs“ mit den Bundestagsabgeordneten.
Das Abschlussstatement sowie die ausführliche Dokumentation finden sich hier.
Das Immovielien-Heft 2:Hier online abrufbar oder als Printversion auf Anfrage (kontakt@netzwerk-immovielien.de).