Ein Beitrag von Mario Como und Sara Schmitt Pacifico.
Dieser Text erschien zuerst Januar 2023 in der Común #7. Die gesamte Ausgabe ist hier digital abrufbar.
Selbstbestimmtes Leben im Alter, Vernetzung zwischen Frankfurter Wohninitiativen und -projekten und gegenseitige Unterstützung im Realisieren der eigenen Wohnvorstellungen – dies waren einige der Beweggründe für die erste Organisierung rund um das Thema gemeinschaftliches Wohnen in Frankfurt am Main. Aus dieser Motivation heraus gründete knapp ein Dutzend selbstorganisierter Wohninitiativen, Einzelpersonen und Vertreter:innen sozialer Träger 2005 das »Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen« als gemeinnützigen Verein und schuf so die Grundlage der heutigen Interessensvertretung der Wohnprojekte. Die Vereinsarbeit basierte in den ersten Jahren auf der ehrenamtlichen Arbeit einiger weniger Aktiver. Nach vier Jahren gelang es, über viel politische Arbeit, Vernetzung und dem ständigen Wiederholen der Bedeutung des Themas für die Stadtentwicklung, eine Projektförderung über die Stadt Frankfurt zu etablieren. Seit 2009 finanziert das Amt für Wohnungswesen die hauptamtliche Arbeit des Netzwerks, es entstand die Koordinations- und Beratungsstelle für Initiativen und Projekte in Frankfurt. Öffentlichkeitsarbeit, Information und Beratung von Interessierten, Austausch und fachliche Weiterentwicklung von Initiativen und Projekten sowie die strategische Weiterentwicklung des Themas werden seitdem systematisch bearbeitet. Trotz dieser finanziellen Förderung agiert der Verein unabhängig als Lobbyverband der Wohnprojekte und -initiativen, der politische Akzente setzt und Forderungen der Mitglieder in Stadtverwaltung und -politik trägt.
Als zivilgesellschaftlicher Partner der Stadt Frankfurt agiert das Netzwerk stark kooperativ und im engen Austausch mit der Stabsstelle »Innovative Wohnprojekte« des Amts für Wohnungswesen und auch direkt mit dem Dezernat Planen, Wohnen und Sport. Diese direkte Verbindung – räumlich und im Arbeitsalltag – ist ein entscheidender Aspekt, um zu verstehen, wie das Thema in Frankfurt bearbeitet wird.
BAUSTEINE FÜR GEMEINSCHAFTLICHES WOHNEN IN FRANKFURT AM MAIN
Neben dem Netzwerk, das als zivilgesellschaftlicher Akteur auch fürs Beraten, Begleiten und Unterstützen von Wohnprojekt-Gruppen zuständig ist, wurden in den letzten Jahren weitere Bausteine entwickelt, die das Thema voranbringen und strukturell verankern.
Ausschlaggebend war hier ein Blick in andere Städte: Basierend auf einer Studie des »FORUM Gemeinschaftliches Wohnen«, in der erste Konzeptverfahren in der Bundesrepublik untersucht wurden, entwickelte das Amt für Wohnungswesen mit dem Netzwerk das Frankfurter Konzeptverfahren. 2014 konnte dieses Verfahren unter veränderten politischen Rahmenbedingungen beschlossen werden. Damit einher ging die Auflage eines revolvierenden Liegenschaftsfonds zum Ankauf mindergenutzter Flächen. Seitdem arbeiten städtische Mitarbeitende, Vertreter:innen der »Konversions-Grundstücksgesellschaft mbH« (KEG) als Tochtergesellschaft der Stadt und das Netzwerk in einem Arbeitskreis Liegenschaftsfonds ständig daran, geeignete Flächen fürs gemeinschaftliche Wohnen zu finden und anzukaufen.
FRANKFURTER KONZEPTVERFAHREN – NIEDRIGSCHWELLIG UND MIT FOKUS AUF GEMEINSCHAFTSEIGENTUM UND FESTPREIS
Das Frankfurter Konzeptverfahren wurde speziell für selbstorganisiertes, gemeinschaftliches und genossenschaftliches Wohnen entwickelt. Es garantiert die gezielte Umsetzung stadtentwicklungspolitischer Ziele und verhindert den ungebremsten Preiswettbewerb, der steigende Kauf- und Mietpreise zur Folge hat. Qualitative und transparente Regeln und Kriterien sind die Basis der Vergabe von Liegenschaften an Gemeinschaftsprojekte. Eigentumsgemeinschaften sind in Frankfurt explizit ausgeschlossen. Stattdessen können sich genossenschaftliche Projekte oder Hausprojekte des Mietshäuser Syndikats beteiligen, da diese Rechtsformen garantieren, dass Wohnraum dauerhaft dem Markt entzogen und vor Spekulation geschützt wird.
DAS NETZWERK HAT SICH EINE BERATENDE POSITION ALS EXPERTIN IM THEMA ERSTRITTEN.
Die Wohninitiativen bewerben sich mit einem inhaltlichen Konzept, das schriftlich eingereicht wird. Die eingereichten Bewerbungen werden geprüft und bewertet nach vorab festgelegten Kriterien: Plausibilität, soziale Aspekte, Einfluss des Wohnprojektes auf das Quartier, beständige Wohnkosten, Innovationsgehalt, Umsetzungsreife, Finanzierbarkeit und Kooperationspartner:innen. Die vielversprechendsten Konzepte werden ausgewählt und zu einer persönlichen Vorstellung vor einem Beirat eingeladen. Besetzt ist dieser mit Vertreter:innen der Stadtpolitik, den beteiligten Ämtern sowie externen Expert:innen. Außerdem hat sich das Netzwerk eine beratende Position als Expertin im Thema erstritten.
Nach dem Zuschlag startet die sogenannte „Anhandgabephase“: Zwischen der ausgewählten Wohninitiative und der Stadt Frankfurt wird ein Vorvertrag geschlossen, der in der Regel eine einjährige Anhandgabe vorsieht. Diese Zeit soll die Gruppe nutzen, um zu wachsen, die Finanzierung und architektonische Gestaltung zu klären sowie eine Baugenehmigung zu erhalten, um nach dem Jahr den Kauf- oder Erbpachtvertrag abzuschließen. In dieser Zeit – und häufig auch darüber hinaus – unterstützt das Netzwerk zusammen mit dem Amt für Wohnungswesen die Projekte in allen Bereichen der Umsetzung. Die Praxis zeigt, dass ein Jahr in dieser Phase zu knapp bemessen ist – schwierige Grundstücke, langwierige Absprachen mit unterschiedlichen städtischen Ämtern und eine Unzahl unvorhergesehener Herausforderungen tragen dazu bei, dass sich diese Phase mehrere Jahre ziehen kann.
Die ersten Frankfurter Konzeptverfahren starteten im Februar 2016 mit der Ausschreibung zweier Liegenschaften in der Nähe des Hauptbahnhofs. Im August erfolgte die erste Vergabe an die Gruppe »NiKa«, die inzwischen mit 42 Personen in einem umgebauten Bürohaus unter dem Dach des Mietshäuser Syndikats lebt. »NiKa« hat sinnbildlich viele der Aspekte aufgegriffen und umgesetzt, die von Gruppen im Konzeptverfahren erwartet werden. Im Erdgeschoss des Gebäudes haben Initiativen ein Zuhause gefunden, die soziale Beratungen anbieten, sich politisch austauschen und vernetzen sowie Veranstaltungen und Ausstellungen organisieren und so ins Quartier hineinwirken. Einer der Grundsätze des Projekts ist es, möglichst vielen Menschen möglichst günstigen Wohnraum in der Frankfurter Innenstadt anzubieten. Daher wurden die Wohnungen als Wohngemeinschaften mit kleinen Zimmern und weitestgehend standardisiert konzipiert. Zudem gilt, dass pro Kopf nur ein Zimmer bewohnt werden darf und die Miete nach den Einkommen gestaffelt wird. Statt großer Privatflächen stehen den Bewohner:innen Gemeinschaftsräume zur Verfügung, die von allen genutzt werden können: Gemeinschaftsraum mit Küche im obersten Stockwerk, Dachterrasse und Sauna. An den schönsten Orten im Haus lebt die Gemeinschaft!
Die Vorgaben des Konzeptverfahrens gehen aber auch mit dauerhaften Herausforderungen einher: Der Anspruch, das Erdgeschoss öffentlichkeitswirksam und nicht kommerziell zu nutzen, gibt Projekten wenig Spielraum diese Flächen auch nur kostendeckend zu betreiben.
Ein Blick in andere Städte unterstreicht die Bedeutung des Netzwerks für das Konzeptverfahren. Ohne einen zivilgesellschaftlichen Akteur als Anlaufstelle, der Gruppen informiert, berät und begleitet, funktioniert dieses Instrument der Stadtentwicklung nicht.
BAULANDBESCHLUSS: SOLL-BESCHLUSS MIT WENIG WIRKUNG?
Zu den bestehenden Bausteinen zur Förderung von gemeinschaftlichem Wohnen kam 2020 der Baulandbeschluss hinzu, der – neben den Quoten für geförderten Wohnungsbau – auch eine 15-Prozent-Quote für gemeinschaftliches Wohnen in Neubaugebieten vorsieht (ein erster Vorläufer 2006 scheiterte damals am fehlenden politischen Willen). Der Beschluss hat bundesweit für Aufsehen gesorgt und bei den Frankfurter Wohninitiativen viel Hoffnung geweckt. Doch bisher hält sich die Wirkung für das gemeinschaftliche Wohnen in Grenzen. Einerseits ist es ein reiner Soll-Beschluss: vor allem große Investor:innen versuchen weiterhin, die festgeschriebenen Quoten hinter verschlossenen Türen zu verhandeln. Die 15-Prozent-Quote für gemeinschaftliches Wohnen wird hier als erstes angegriffen, offiziell mit der Begründung, das Thema sei „neu“ und mit vielen Fragezeichen verbunden. Wohl aber auch, weil hier Wohnraum dauerhaft dem Markt entzogen wird und nicht – wie im Sozialen Wohnungsbau, gemäß dem Prinzip der „sozialen Zwischennutzung“, nach etwa 30 Jahren aus der Bindung fällt. Begründet mit der aktuellen Zurückhaltung der üblichen Wohnraumproduzenten und dem weiterhin fehlenden Wohnraum forderte die CDU im Herbst 2022, den Beschluss auszusetzen. Dies wurde von den Regierungsparteien der Stadt (Grüne, SPD, FDP und Volt) zunächst abgewendet.
IN FRANKFURT HAT ÜBER DIE HÄLFTE DER BEVÖLKERUNG ANRECHT AUF GEFÖRDERTEN WOHNRAUM.
Das zeigt, dass ein Beschluss in der Stadtverordnung zwar wichtig ist, aber bei weitem nicht genügt. Er muss von allen Akteuren gelebt und immer wieder gegen Angriffe verteidigt werden. Und tatsächlich geht er noch nicht weit genug. In Frankfurt hat über die Hälfte der Bevölkerung Anrecht auf geförderten Wohnraum und Initiativen, die gemeinschaftliches Wohnen verwirklichen möchten, lösen sich teilweise nach vielen Jahren der verzweifelten Suche nach Flächen wieder auf. Diesen Herausforderungen wird der Baulandbeschluss bislang nicht gerecht.
KRISEN, NEUE HÜRDEN UND AKTUELLE PERSPEKTIVEN
Zugangsmöglichkeiten wurden verbessert, Möglichkeiten zur Unterstützung geschaffen und es ist mittlerweile politisch wenig umstritten, dass gemeinschaftliche Wohnprojekte einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung leisten. Trotzdem bleiben Planungs- und Bauprozesse zeitintensiv und mitunter nervenaufreibend. Die gravierenden Entwicklungen im letzten Jahr – Kostensteigerungen, Fachkräftemangel, Lieferengpässe, Zinswende – treffen gemeinschaftliche Wohnprojekte besonders hart. Und genau deshalb muss diese Säule der Wohnungsraumversorgung – die gemeinwohlorientierten Akteure – besonders gefördert werden. Sie sind am Markt strukturell benachteiligt, basieren auf kleinen ehrenamtlichen Netzwerken und haben keine Rücklagen oder Puffer, weil sie immer direkt an der Kostengrenze planen. Es braucht noch weitere strukturelle und finanzielle Unterstützung, sonst helfen auch Arbeitskreise, Quoten und Infoveranstaltungen nicht weiter. Nur so kann es viele bunte Farbkleckse in den von Investor:innen geprägten grauen Städten geben!
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AUTOR:INNEN
Mario Como und Sara Schmitt Pacifico sind beim
Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen als stellvertretende Leitung der Koordinations- und Beratungsstelle angestellt. Außerdem hat Mario Como das Hausprojekt Nika mit aufgebaut und lebt seitdem dort.