Grafik: Entwicklungen am Branderhof, von Vasylysa Shchogoleva (www.vasi.work)

Kooperative Prozesse im Quartiersprojekt Branderhof Aachen

Ein Beitrag von Claudia Bosseler.
 
Dieser Text erschien zuerst Mai 2022 im Immovielien-Heft 2. Das gesamte Heft ist hier digital abrufbar oder über die Koordinierungsstelle als Printversion erhältlich.
 
Das Projekt Branderhof verbindet die Elemente Stadtmacher*innen, bürgerschaftliches Engagement und gemeinschaftliche Wohnprojekte. Als Bottom-up-Projekt entstanden, ist die Entwicklung ein kooperativer Prozess zwischen engagierten Bürger*innen im Verein Branderhof, interessierten Baugruppen, einer Kita als Elterninitiative und der Stadt Aachen. Unterstützt wurde das bürgerliche Projekt vom Büro startklar im Rahmen des Förderprogramms „Initiative ergreifen“ des Landes NRW.
 
Status quo zu kooperativen Projekten in Aachen
 
Aachen ist bei gemeinschaftlichen Wohnprojekten noch nicht aufgestellt wie Tübingen oder Hamburg, wo Flächenvergabe, Beratung und Förderung für Baugemeinschaften Teil der Wohnbauentwicklung sind. Dort konnte das Thema gemeinschaftliche Wohnprojekte in Kombination mit der Vermarktung von verfügbaren Flächen mittels Konzeptverfahren an Baugruppen zu einem gefragten, attraktiven und gemeinwohlorientierten Segment im Wohnungsbau werden. In Aachen gibt es seit vielen Jahren eine Kontaktstelle für Interessierte im Fachbereich Wohnen, Soziales und Integration, so dass bereits acht Einzelprojekte in verschiedenen Rechtsformen in Aachen entstehen konnten. Allerdings ist gemeinschaftliches Wohnen lange ein Nischenthema gewesen. Es fehlte bisher eine strategische Ausrichtung des wohnungspolitischen Handelns zum gemeinschaftlichen Bauen und Wohnen. Der Branderhof ist Aachens erstes „Experimentierfeld“ eines gemeinschaftlich gestalteten Wohnquartiers mit mehreren Baugruppen, verbunden mit einem bürgerschaftlichen Nachbarschaftsprojekt.
 
In den letzten Jahren gewinnt die Aachener „Immovielien-Landschaft“ mit dem Quartiersprojekt Branderhof, verschiedenen gemeinschaftlichen Wohnprojekten und dem innerstädtischen Projekt „Büchel“ an Dynamik. Neue Prozesse mit neuen Akteuren werden erprobt und Instrumente, wie die Konzeptverfahren, werden eingeführt. Im Rahmen des Handlungskonzepts Wohnen, das aktuell entwickelt wird, werden strategische Instrumente für ein nachhaltiges, bezahlbares Wohnen in Aachen aufgestellt. Einer der Bausteine ist die Neuausrichtung der kommunalen Koordinations- und Beratungsstelle „Bauen und Wohnen in Gemeinschaft“. In den letzten Jahren wurden in der Koppelung von Beratung mit der Vergabe von Grundstücken an gemeinschaftliche, gemeinwohlorientierte Projekte besonders wirkungsvolle Effekte sichtbar: Sie zeigten sich durch eine Zunahme an gemeinschaftlichen Wohnprojekten sowie durch einen Maßstabssprung der Projekte, wie im Quartiersprojekt Branderhof mit mehreren Baugruppen in einem Gebiet. Wenn die Stadt Aachen diese Möglichkeiten für innovative Projekte auf städtischen Flächen bietet, müssen die Projekte einen Beitrag zu den Bedarfslagen der Stadt liefern, indem sie bezahlbaren, geförderten und inklusiven Wohnraum schaffen. Dass gemeinschaftliche Wohnprojekte dazu in der Lage sind und sich mit diesen Zielen identifizieren, zeigt beispielsweise das genossenschaftliche Projekt „Miteinander im Wiesental“ mit 40 Prozent gefördertem Wohnungsbau.
 
Quartiersprojekt Branderhof: Idee und Entstehung
 
Der Branderhof in Aachen ist ein vielschichtiges, kooperatives Quartiers- und Nachbarschaftsprojekt mit verschiedenen Gruppen von Nutzer*innen und Entwickler*innen. Der Aufbau ähnelt einer Zwiebel, bestehend aus unterschiedlichen Schichten: ausgehend vom Kern mit dem ehemaligen Gutshof „Gut! Branderhof“ als Nachbarschafts- und Begegnungszentrum und bürgerschaftliches Projekt, ergänzt durch eine Kita und umringt von mehreren gemeinschaftlichen Wohnprojekten. Die Verbindung erfolgt über die Mitgliedschaft und Mitwirkung im Verein Branderhof. Die äußerste Schicht ist das umliegende Quartier, das durch soziale und demographische Effekte, das nachbarschaftliche Engagement und den Austausch zwischen den Bewohner*innen mit dem Projekt verknüpft ist.
 
Die Projektidee entstand bereits 2015 mit der Aufgabe des Reiterhofes, als der Verkauf des städtischen Geländes im Raum stand. Durch die prägende Gestalt des denkmalgeschützten Hofes wird dieser Ort als identitätsstiftend im Quartier empfunden. Die Sorge vor einer renditeorientierten Vermarktung und dem Verlust des Quartiersmittelpunktes ließ in einer Gruppe engagierter Bürger*innen die Idee eines Nachbarschaftszentrums mit umliegenden gemeinschaftlichen Wohnprojekten aufkommen. Dieses Vorhaben stieß bei der Verwaltung der Stadt Aachen auf offene Ohren. Mit Unterstützung der Beratung im Rahmen der Förderung „Initiative ergreifen“ konnte die Idee weiter ausgebaut werden und durch die Fördermöglichkeit eine Realisierungschance erhalten. Kennzeichnend ist der soziodemographische Quartiersansatz des Projektes, der einen Mittelpunkt im Quartiersleben schaffen will und durch die Verbindung mit den gemeinschaftlichen Wohn- projekten eine langfristige Verankerung und Tragfähigkeit in der nachhaltigen Umsetzung finden kann.
 
Bausteine der Entwicklung
 
Erster Baustein war der Umbau der denkmalgeschützten Doppelscheune des Hofes in eine Kita durch einen Investor. Die Entwicklung der weiteren Bausteine war ein durchaus aufwendigerer partizipativer Prozess. In einem Beratungs- und Befähigungsprozess wurde der Verein Branderhof bei der Erstellung eines Betriebskonzeptes und der Planung zum Umbau des denkmalgeschützten Gutshofes begleitet. Gleichzeitig wurde ein städtebaulicher Entwurf für die umliegenden Hofflächen in einem Beteiligungsformat mit interessierten Baugruppen entwickelt. Schon in dieser frühen Phase der Beteiligung von Interessierten entstand die Idee der „Siedlungsgemein- schaft“: Dieser Verbund der verschiedenen Baugruppen soll Themen wie Freiraumnutzung und -gestaltung, Mobilität und Energie sowie geförderten Wohnungsbau gemeinsam gestalten, um Synergien zu generieren. Dadurch erhalten einzelne Gruppen mehr Flexibilität und die Möglichkeit unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen.
 
Der denkmalgeschützte Hof soll wieder ein aktiver Treffpunkt der Nachbarschaft mit einem vielfältigen sozialen und kulturellen Angebot werden, was sich bereits im Testbetrieb vor der Sanierung zeigt. Nach dem Umbau entstehen neue Nutzungsmöglichkeiten wie ein Quartierswohnzimmer, ein Quartiersbüro, eine Werkstatt, ein Repaircafé sowie ein Veranstaltungsraum.
 
Außerdem soll der Innenhof vielfältig genutzt werden. Die Umbauarbeiten am Hof sollen über Fördergelder finanziert werden, der Neubau der Wohnprojekte wird durch die Gruppen getragen. Im Rahmen der Städtebauförderung war die Erstellung eines integrierten Stadtentwicklungskonzept (ISEK) erforderlich, um die Projekte zielgerichtet in die Bedarfslagen des Quartiers unter Berücksichtigung der soziodemographischen Herausforderungen einzubinden.
 
Kooperative Projektentwicklung
 
Der Entwicklungshistorie muss man zugutehalten, dass es keinen vorab geplanten Entwicklungsprozess gab. Ausgehend von der Projektidee wurde in Kooperation mit allen beteiligten Akteur*innen schrittweise ein Weg der Umsetzung gesucht. Das erforderte die nötige Offenheit aller Beteiligten und stellte für alle Akteur*innen eine Herausforderung dar: Die Verwaltung musste gewohnte Verfahren verlassen und Experimente wagen. Die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen profitierten zwar von besonderen Chancen einer Pionierrolle, konnten aber keinen klaren, sicheren Weg zum Ziel vorfinden und mussten viel Engagement und Durchhaltevermögen mitbringen. Die Entwicklung des städtebaulichen Entwurfes hat aufgrund der Bottom-up-Entwicklung eine längere Wegstrecke bis zu dem nun vorliegenden Entwurf für den Bebauungsplan hinter sich.
 
Die kooperative Entwicklung des städtebaulichen Entwurfes startete mit Ideenwerkstätten, in denen erste Entwurfsvarianten mit interessierten Baugruppen entwickelt wurden. Im weiteren Prozess musste der Entwurf sich an viele Faktoren, wie beispielsweise Anforderungen des Denkmalschutzes, kompakte Bauweise, verändernden Gruppenanzahl und -größe, anpassen. In diesem Prozess sind die fünf Baugruppen zu einer übergreifenden Siedlungsgemeinschaft zusammengewachsen und haben ein gemeinsames Trägerkonzept entwickelt. Eine beispielhafte Herausforderung für die Baugruppen der Siedlungsgemeinschaft war, die Verteilung der Grundstücke gemeinsam untereinander zu lösen. Das gelang in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Jankowski Bürgener und mündete in dem städtebaulichen Entwurf als Grundlage für den Bebauungsplan.
 
Aufgrund der besonderen Synergieeffekte, dem maßgeschneiderten Konzept und den für den Ort passenden Akteuren wurde von dem ursprünglich vorgesehenen Konzeptverfahren abgewichen. Da sich die beteiligten Akteure lange und aufwendig in den Planungsprozess eingebracht hatten, wird eine Direktvergabe mit Konzeptanforderungen durchgeführt. Der Mehrwert eines langen und intensiven Prozesses und das Nutzen der Synergieeffekte ersetzten dabei den für Konzeptverfahren üblichen „Qualifizierungseffekt“ des offenen Ideenwettbewerbs. Außerdem werden im Prozess immer wieder Meilensteine zum Qualitätscheck eingebaut, wie beispielsweise die Einreichung von Konzeptbeschreibungen für die Anhandgabe des Grundstücks.
 
Auf den Flächen rund um den Branderhof planen fünf Baugruppen in unterschiedlichen Rechtsformen von Mietwohnprojekt über Wohnungseigentümergemeinschaft bis hin zur Genossenschaft ihre gemeinschaftlichen Wohnprojekte. Sie alle verbindet die Idee eines übergeordneten Zusammenschlusses in einer „Siedlungsgemeinschaft“ zur Nutzung von Synergien. Dazu haben Sie eine GbR gebildet, die sich beispielsweise der Gestaltung einer gemeinschaftlichen Freifläche, der Energieversorgung und dem Mobilitätskonzept mit einer gemeinsamen Tiefgarage widmet. Da aufgrund der unterschiedlichen Rechtsformen nicht alle Projekte den geförderten Wohnungsbau im Umfang von 40 Prozent der Wohnfläche erstellen können, gibt es hier einen Spielraum durch eine gemeinsame Lösung. Die Quote kann gebietsübergreifend erfüllt werden, jedoch soll ein Anteil von mindestens 20 Prozent öffentlich-geförderten Wohnraums pro Haus umgesetzt werden. Ziel ist eine heterogene, gemischte Bewohnerschaft in verschiedenen Alters- und Einkommensgruppen.
 
Fazit
 
Eine Kooperation zwischen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und Kommune ist eine Herausforderung, ein Lernprozess und ein Wechselspiel von fördern und fordern. Für den Erfolg braucht es außerdem die Begeisterung für die Idee, den Glauben an die Qualität des Projektes sowie eine Wertschät- zung für den Prozess. Wichtige Faktoren zum Gelingen eines solchen Prozesses zwischen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und Kommune sind eine gute Kommunikation auf Augenhöhe sowie eine professionelle Organisation und ein Verständnis für Verwaltungshandeln seitens der bürgerschaftlichen Akteur*innen. Im Planungsprozess des Quartiersprojektes Branderhof hat sich die fachliche Unterstützung der Baugruppen und Siedlungsgemeinschaft durch eine Projektberatung sowie die Begleitung der Vereinsarbeit durch das Büro „startklar“ ausgezahlt.
Nach diesen Projekterfahrungen können Elemente einer Kooperation zwischen Kommunen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen durch einige zentrale Bausteine hergestellt werden:
 
Bei der Kommune:
• Anbieten von Beteiligungsprozessen
• Kommunikations- und Beratungsleistungen durch eine kommunale Koordinationsstelle
• Beratung für die zivilgesellschaftlichen Akteure ermöglichen
• kooperative fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit in der Verwaltung
 
Bei zivilgesellschaftlichen Akteur*innen:
• Annehmen der Beratungsangebote
• Investition in ergänzende Beratung und Expertise, beispielsweise für die Projektsteuerung und erste Planungschritte
• Professionalisierung der Organisation und Kommunikation.
 
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Weitere Informationen zum Projekt Branderhof finden sich hier.
 
Das Immovielien-Heft 2: Hier online abrufbar oder als Printversion auf Anfrage (kontakt@netzwerk-immovielien.de).