Ein Beitrag der Montag Stiftung Urbane Räume, von Stefan Anspach und Lisa Hahn.
Dieser Text erschien zuerst Mai 2022 im Immovielien-Heft 2 und wurde im Februar 2023 geringfügig aktualisiert. Das gesamte Heft ist hier digital abrufbar oder über die Koordinierungsstelle als Printversion erhältlich.
Chancen bauen, wo es zu wenige davon gibt: Das ist das Ziel der Montag Stiftung Urbane Räume. Wir wollen Orte schaffen, an denen Menschen zusammenkommen, voneinander lernen und ihre Zukunft selbst gestalten. Und insbesondere dort Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und gleichberechtigte Chancen ermöglichen, wo Unterstützung am stärksten benötigt wird.
Dafür arbeiten wir nach dem Initialkapital-Prinzip: Bereits in der Projektuntersuchung entwickeln wir zusammen mit weiteren zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gemeinwohlorientierte Nutzungskonzepte für Grundstücke und Gebäude, die dauerhaft wirtschaftlich tragfähig sind und einen Überschuss für den Stadtteil erwirken. Eine Immobilie wird dabei ein Ort der Identifikation und der Möglichkeiten – und auch der Möglichkeit, den eigenen Stadtteil zu gestalten.
Wir glauben, dass nur dort, wo zusammen nachgedacht, entschieden und angepackt wird, etwas entstehen kann, das allen zugutekommt und sich in einer stabilen Gemeinschaftsstruktur verstetigt.
Dafür gibt es keine Blaupause. Die Art der Gemeinschaftsstruktur richtet sich an den individuellen Projektkonstellationen aus und wird von Anfang an in einem offenen Diskurs über Möglichkeiten, Aufgaben und Verantwortungen gemeinsam entwickelt. Die bisherigen Projekte nach dem Initialkapital-Prinzip zeigen, dass dabei unterschiedliche Organisationsstrukturen entstehen.
Das Initialkapital-Prinzip
Sechs Projekte nach dem Initialkapital-Prinzip sind bereits auf den Weg gebracht: die Nachbarschaft Samtweberei in Krefeld, der Bürgerpark FreiFeld in Halle an der Saale, die KoFabrik in Bochum, der BOB CAMPUS in Wuppertal, das HONSWERK in Remscheid und die Wiesenwerke ebenfalls in Wuppertal. Die Projekte unterscheiden sich nach lokalen Begebenheiten deutlich, basieren aber auf wiederkehrenden Grundlagen: Wird ein möglicher Standort ins Gespräch gebracht, startet möglichst früh ein multiperspektivischer Austausch mit den Menschen vor Ort als Expert*innen für ihr Viertel und mit Vertreter*innen von Kommunen, Fachinstitutionen, Verbänden und weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen. Zusammen wird eine gemeinwohlorientierte Vision für die Immobilie und den Stadtteil erarbeitet.
Dass diese Vision den Bedürfnissen der Menschen entspricht, sich das Projekt langfristig selbstständig trägt und die Konditionen für mögliche Bestandsmieter*innen erhalten bleiben, sind dabei die entscheidenden Ziele. Der Anspruch, die Mieten und die Überschüsse für das Quartier in Balance zu halten, erfordert viele gemeinsame Abwägungen. Schließlich sollen bei meist hohen Investitionskosten Räume und Überschüsse für Quartiersarbeit entstehen, ohne dass die Mieten untragbar werden. Zu schaffen ist das nur, wenn alle sich einbringen: Eine Grundlage ist zum Beispiel der Verzicht der Grundstückseigner*innen auf Erbbauzinszahlungen, solange das Projekt gemeinnützig bleibt, um damit das Quartier zu stärken. Die Gemeinnützigkeit gewährleisten wir, indem wir eine Urbane Nachbarschaft gGmbH gründen – eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Damit stehen Ausbau und Renovierung des Gebäudes langfristig auf einer sicheren Grundlage. Die oft aufwändigen Baumaßnahmen im Gebäudebestand werden zu 30 Prozent aus Eigenkapital der Stiftungsgruppe finanziert, was nicht verzinst wird. Zusätzlich wird Fremdkapital herangezogen, das später durch Mieteinnahmen zurückgezahlt wird. Die Kommune als wichtige Kooperationspartnerin steuert Unterstützung bei, zum Beispiel in Form von Fördergeldern für die Umgestaltung des öffentlichen Raums.
Ein weiterer wichtiger Grundstein ist, dass die Urbane Nachbarschaft gGmbH lokal agiert und wirkt: Mitarbeiter*innen sind mit einem Projektbüro vor Ort und Teil der Nachbarschaft. Sie koordinieren die (Um-)Baumaßnahmen und arbeiten mit engagierten Menschen und Institutionen aus dem Stadtteil kontinuierlich am Gemeinwohlkonzept. So wird frühzeitig das Fundament für die Gemeinschaftsstruktur gelegt.
Drei Beispiele für die Verstetigung der Gemeinschaftsstruktur
In Halle-Freiimfelde wurde das
FreiFeld als Nachbarschaftspark in einem ko-kreativen Prozess zwischen der Urbanen Nachbarschaft Freiimfelde, der Stadt Halle (Saale), dem gemeinnützigen Verein Freiimfelde und engagierten Bewohner*innen des Viertels Freiimfelde entwickelt. Das FreiFeld ist heute ein richtungsweisendes Beispiel für eine aktiv betriebene urbane Freifläche: Sozial fest verankert im Stadtteil, identitätsschaffend und eine aktive Ressource für Stadtentwicklung. Das FreiFeld wird von engagierten Bewohner*innen des Stadtteils genutzt und bespielt, die sich seit 2014 im Freiimfelde e.V. organisieren. Das Nutzungs- und Betriebsmodell ist so gestaltet, dass sich das Projekt selbst trägt und die erwirtschafteten Gewinne dem Gemeinwohl zugutekommen. Im Januar 2020 übergab die Montag Stiftung Urbane Räume dem Verein den Park als Schenkung. Die Montag Stiftung Urbane Räume bleibt als Ansprechpartnerin in regelmäßigem Austausch mit dem Verein.
In Krefeld wurde Anfang 2021 die NachbarschaftStiftung Samtweberviertel Krefeld gegründet. Bürger*innen setzen sich für das Samtweberviertel ein: Sie betreiben Räumlichkeiten der
Samtweberei und die Shedhalle als öffentlichen Raum für das Viertel. Zudem realisieren sie eigene Projekte. Eine Kooperationsvereinbarung zwischen der NachbarschaftStiftung und der gemeinnützigen Projektgesellschaft gestaltet die Zusammenarbeit aus: Darüber werden Überschüsse aus der Vermietung zweckgebunden für Projektarbeit und eine Personalstelle zur Ehrenamtskoordination zur Verfügung gestellt sowie die kostenfreie Nutzung von Räumen und Infrastruktur für die NachbarschaftStiftung vereinbart.
Die Urbane Nachbarschaft Samtweberei gGmbH ist als Projektgesellschaft dauerhaft mit einem eigenen Team vor Ort. Dieses Team verantwortet die gemeinwohlorientierte Immobilienverwaltung und sichert so die herausfordernde Balance zwischen wirtschaftlicher Tragfähigkeit des Projekts, den Interessen der Mieterschaft und den Anforderungen aus einer gemeinwohlorientierten Nutzung der Räumlichkeiten. Die Mitarbeitenden der gGmbH übernehmen außerdem die Koordination der so genannten Viertelsstunden, ein Gemeinwohlbeitrag, zu dem sich die Gewerbemieter*innen bei Einzug verpflichten. Darüber hinaus werden aus der gGmbH eigene Projekte realisiert. Dazu gehört auch das Management der Viertelsstunden.
In Bochum wurde 2021 der gemeinnützige Verein Quartiershalle in der KoFabrik e.V. gegründet. Er basiert auf einem Zusammenschluss Interessierter aus der Mieter*innenschaft der
KoFabrik. Die Programmierung und das Nutzungskonzept für die Quartiershalle wurden in mehreren Planungswerkstätten und Quartiershallen-Stammtischen gemeinsam erarbeitet. Entstanden sind Räume, die durch eine offene Gestaltung zum stetigen Verändern, Umnutzen und Aneignen einladen. Die Bespielung und Nutzung der Halle und auch des davorliegenden Quartiersgartens am Imbuschplatz erfolgen durch den gemeinnützigen Verein. Die Aktivitäten des gemeinnützigen Vereins werden aus Überschüssen aus der Vermietung des gesamten Gebäudes unterstützt – auf Basis einer Kooperationsvereinbarung. Das Team der gGmbH leistet außerdem die gemeinwohlorientierte Immobilienverwaltung.
Ausblick
So weit zu drei Beispielen, die alle unterschiedliche organisatorische Wege gegangen sind. Gemeinsam ist ihnen, dass eine Organisationsstruktur, zum Beispiel ein gemeinnütziger Verein oder eine Stiftung vorhanden ist, mit denen die lokale gGmbH Kooperationen eingeht und an die sie Zuwendungen leistet. Mit unseren Projekten nach dem Initialkapital-Prinzip wollen wir auch künftig weitere und neue Wege der gemeinwohlorientierten Immobilien-Nutzung und -Verwaltung gehen, um Stadtteil-Orte zu schaffen, die Menschen gemeinschaftlich entwickeln und die den Menschen vor Ort mehr Teilhabe ermöglichen.
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Weitere Informationen zur Montag Stiftung Urbane Räume finden sich unter
www.montag-stiftungen.de/mur.
Mehr zu den Projekten nach dem Initialkapital-Prinzip ist im
Werkbericht 2021 der Montag Stiftung Urbane Räume zu lesen.
Das Immovielien-Heft 2: Hier online abrufbar oder als Printversion auf Anfrage (kontakt@netzwerk-immovielien.de).